Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

„Das ist moderne Sklaverei“

Landfrauen diskutieren über kostengünstige Haushaltshilfen aus Osteuropa


VON JAN RÖßMANN




Lübbecke. Die Landfrauen fassen auch heiße Eisen an. Am jährlichen Landfrauennachmittag diskutieren die Mitgliederinnen über Gott, die Welt und andere kontroverse Themen. Gestern ging es um kostengünstige Haushaltshilfen aus Osteuropa – die auch in Lübbecker Haushalten oft schwarz beschäftigt würden.

Gisela Gräber kennt das Problem. „Auch in Lübbecke arbeiten in vielen Familien polnische Haushälterinnen schwarz .“ Die Sprecherin des Bezirksverbundes Lübbecke der Evangelischen Frauenhilfe hat in den vergangenen Wochen mit vier oder fünf Familien gesprochen, die auf diese Weise Geld sparen.

Rund 100 Frauen trafen sich gestern auf Einladung der Frauenhilfe in der Wiehentherme am Reineberg, um Gisela Gräber und Birgit Reiche zuzuhören. Reiche, Landfrauenbeauftragte der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen, spricht jedes Jahr auf dem Landfrauennachmittag. Das Treffen gehört mit dem Frühjahrs- und dem Herbsttreffen zu den drei Großveranstaltungen des Bezirksverbandes, der etwa 1.300 Mitglieder hat.

Die Zahl der älteren Menschen in Deutschland, die auf eine Haushaltshilfe angewiesen sind, wächst. Doch eine 24-Stunden-Hilfe ist teuer. Rund 3.000 Euro bezahlen Bedürftige dafür im Monat. Viele Familien stellen deshalb eine polnische Kraft ein, die für 1,38 Euro in der Stunde arbeitet – monatlich 1.000 Euro. „Das ist moderne Sklaverei“, sagt Birgit Reiche.


Die Bundesagentur für Arbeit warne, dass sich jede Vermittlung einer Haushaltshilfe, die nicht über die Agentur selbst laufe, in einer rechtlichen Grauzone bewege. Reiche will, dass sich etwas ändert.Problematisch sei, dass die Politik keine klaren Regeln schaffe. „Die privaten Agenturen vermitteln natürlich im Bewusstsein, legal zu handeln.“ Ein Problem sei außerdem die Geringschätzung der Gesellschaft für Sozialberufe und die dadurch bedingte schlechte Bezahlung von Haushaltskräften. „Eine Vollzeitpflegerin kann keine Familie ernähren“, sagt Reiche, dann muss sie weiter. 700 westfälische Frauen hören ihr jedes Jahr auf den Landfrauentagen zu.

© 2010 Neue WestfälischeZeitung für den Altkreis Lübbecke, Dienstag 02. Februar 2010

Die 24 Stunden Polin: Lösung für häusliche Pflege?



Landfrauennachmittag in der Wiehentherme
Frauenhilfsfrauen diskutieren über Billiglohn und Schwarzarbeit



Deutliche Worte fand Pfarrerin Birgit Reiche, die von der Frauenhilfe Soest zum traditionellen Frauenhilfetreffen nach Hüllhorst gekommen war. Fast 100 Frauen waren der Einladung der Frauenhilfe gefolgt, um mit der Landfrauenbeauftragten über dieses brennende Thema zu sprechen. Die Zahl der älteren Menschen in Deutschland, die auf eine Haushaltshilfe angewiesen sind, wächst. Doch eine 24-Stunden-Hilfe ist teuer. Rund 3.000 Euro bezahlen Bedürftige dafür im Monat. Viele Familien stellen deshalb eine polnische Kraft ein, die für 1,38 Euro in der Stunde arbeitet – monatlich 1.000 Euro. „Das ist moderne Sklaverei“, sagt Birgit Reiche. „Immer mehr Familien – man schätzt 100000 - stellen Frauen aus osteuropäischen Ländern als Haushaltshilfen und Pflegekräfte ein.“ Der Arbeitsagentur zufolge befänden sich diese Beschäftigungsverhältnisse rechtlich in einer Grauzone oder sind sogar illegal. So sehr man auch verstehen könne, wenn Familien ihre Angehörigen, so weit es geht, zu Hause behalten möchten und nach bezahlbarer Pflege suchen. Man müsse auch die Situation der Frauen sehen, die oft ohne Versicherungs- und Rentenanspruch , entfernt von ihrer Familie, leben müssen. In erster Linie sei der Gesetzgeber gefragt, der in diesem Bereich klare Voraussetzungen schaffen müsse. Wer für einen Angehörigen 24 Stunden Pflege braucht, solle überlegen, ob die Betreuung in einem Altenheim nicht eine für alle Betroffenen eine angemessenere Alternative ist.