Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 13. Dezember 2025

Diakon Michael Biesewinkel

Anna wohnte in einem kleinen Dorf, dessen Straßen im Herbst meist matschig und im Winter von hartem, unebenem Frost zerfurcht waren. Anna war keine Predigerin und keine Gelehrte, aber sie war die Hüterin des Dorfbackhauses. Und in ihrem Herzen hatte sie eine Gewissheit: Jeder Tag war eine Vorbereitung.

Jedes Jahr, wenn die Adventszeit begann, beschloss Anna, den Weg für ihre Nachbarn symbolisch zu ebnen. Sie begann nicht mit Baggern und Schaufeln, sondern mit dem, was sie am besten konnte: Brot und Achtsamkeit.
Da war zunächst Herr Becker. Er war der „Hügel der Anmaßung“ im Dorf: laut, schnell im Urteil und immer bereit, jemandem seine Meinung aufzuzwingen. Niemand mochte bei ihm klingeln, und er selbst blieb isoliert. Anna wusste: Ein Hügel wird nicht mit Konfrontation abgetragen, sondern mit Ausdauer. Eines Morgens, als der erste Raureif lag, stellte Anna einen frisch gebackenen Laib mit einer kleinen, handschriftlichen Notiz vor seine Tür. Es war kein Vorwurf, keine Einladung, nur ein Gruß: „Kraft für den Tag.“ Am nächsten Tag tat sie es wieder. Und am übernächsten. Nach einer Woche öffnete Herr Becker die Tür, gerade als Anna den Laib abstellen wollte. Er sah sie nicht an, nur auf den Boden, und murmelte ein knappes, belegtes „Danke“. Doch es war ein Spalt, ein kleiner Riss im Hügel.

Dann gab es Frau Schmidt, die nach dem Verlust ihres Mannes im „Tal der Gleichgültigkeit“ versunken war. Sie antwortete kaum, zog sich zurück, und die dunklen Vorhänge ihres Hauses waren fast nie geöffnet. Anna wusste: Die Täler füllt man nicht mit Lärm, sondern mit Stille und Trost. Sie setzte sich eines Nachmittags einfach auf die Bank vor Frau Schmidts Haus und begann, leise ein Weihnachtslied zu summen, während sie einen kleinen Kranz aus Tannenzweigen band. Sie sprach kein Wort zu Frau Schmidt, aber ihre Anwesenheit sagte: Ich bin hier. Nach einer Weile, ohne dass Anna es bemerkte, wurde einer der dunklen Vorhänge einen Spalt breit geöffnet. Ein schwacher Schein fiel auf die Straße.

Anna verstand Jesaja auf ihre ganz eigene Weise. Sie brauchte keine mächtige Armee, um eine Straße zu bauen. Sie brauchte nur Mehl, ein warmes Herz und die Gewissheit, dass die gewaltigste Kraft die Liebe ist. Sie bereitete nicht die Straße für den HERRN, sondern die Herzen ihrer Nachbarn durch den HERRN.

Als Heiligabend kam, war der Weg zum Backhaus glatt gefegt, und aus den Häusern strömte ein warmer Schein. Als Anna die letzten Brote verteilte, sah sie Herrn Becker, wie er Frau Schmidt eine Tasse Tee reichte und leise mit ihr sprach – die Hügel waren gesunken, die Täler aufgefüllt.

Anna lächelte. Der Weg war bereitet. Sie begriff: „Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig“ (Jes 40,3.10). Er kommt nicht nur als König, sondern als Mensch, und er braucht keine goldene Straße, sondern ein offenes, liebendes Herz. Und diese Baustelle, so zeigt Annas Geschichte, ist die schönste und wichtigste Arbeit im Advent.


Diakon Michael Biesewinkel