Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 12. Juli 2025

Miriam Wegener-Kämper, Prädikantin in Nettelstedt

Eine abenteuerliche Geschichte geht zu Ende. Aber wie? Die Entscheidung liegt allein bei Josef.

Nachdem seine Brüder ihn vor vielen Jahren aus rasender Eifersucht zwar nicht getötet, aber als Sklaven nach Ägypten verkauft haben, ist er dort zunächst erfolgreich und landet doch unverschuldet im Gefängnis. Sehr turbulent geht es für ihn weiter, bis Josef schließlich Stellvertreter des Pharao ist. Vize-König von Ägypten sozusagen, also ein gemachter Mann. Ein Mann mit Macht.

Nun könnte er seinen Brüdern so richtig heimzahlen, was sie ihm angetan haben. Jetzt ist er am Drücker. Besonders, seit der Vater gestorben ist, der sie noch miteinander verbunden hielt.

Was wird Josef tun? Die Brüder stehen voll Angst vor ihm, malen sich wohl schon aus, was mit ihnen geschehen wird. „Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet.“ (1. Mose 50,20a), hören sie ihn sagen.

Er spricht nicht von Rache. Man hört noch nicht einmal einen Vorwurf. Nein, Josef zieht Bilanz. Ganz nüchtern stellt er fest, wie übel die Brüder ihm mitgespielt haben. Böse sind sie zu ihm gewesen, abgrundtief böse. Das weiß er noch - und zwar ganz genau. Aber: Es ist vorbei. Abgehakt und erledigt. Für ihn. Für sie.

Denn ihre Rechnung, die hatten die Brüder ohne Gott gemacht. Und der sorgte durch sein liebesvolles Einwirken für das unterm Strich so ausgesprochen gute Ergebnis. Dessen ist sich Josef sicher - und hat nicht das Bedürfnis, jetzt noch nachzutreten.

Immer wieder erfahren Menschen Ungerechtigkeit, ja, Boshaftigkeit von anderen. Sie werden ignoriert, beleidigt, gedemütigt, gequält.

Und dann gibt es die einen: Wenn sich ihnen die Chance bietet, zahlen sie mit gleicher Münze heim, was ihnen angetan wurde. Oder setzen sogar noch einen drauf. So halten sie die Spirale der Gewalt am Laufen.

Und dann gibt es die anderen. Die, die trotz allem weich und offen bleiben. Die es schaffen, nicht zu vergelten, sondern zu vergeben. Die weiter das Gute sehen. Woher nehmen sie nur die Kraft?

Manche sehen dies als Zeichen von Schwäche: „Warum tust du nichts? Das hat sie doch verdient!“

Für mich hat diese Haltung nichts mit Schwäche zu tun. Ich halte sie vielmehr für eine große Stärke, ein Zeichen von Größe. Sie ist eine wertvolle Entscheidung - für den anderen, aber vor allem für die Person, die sie trifft.

Von solcher Freundlichkeit kann es gar nicht genug geben auf dieser viel zu oft harten, ungnädigen Welt. Diese unverdiente Güte macht die Welt wieder ein Stück wärmer. Und sie belebt die Hoffnung, dass es doch nicht das Böse ist, das am Ende siegt.

Es gibt den schönen englischen Satz ‚When in doubt, choose love.‘ - ‚Im Zweifel entscheide dich für die Liebe.‘

Wenn also unser ‚Josef-Moment‘ kommt: Wir haben die Wahl.


(Miriam Wegener-Kämper, Prädikantin in Nettelstedt)