Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung vom 14. August 2022

Prädikantin Jutta Hovemeyer

Mt. 25 – Anvertraute Talente

„Ein Supertalent – in den Wettkämpfen werden die Rekorde nur so purzeln!“ – so klingt es oft in den Sportkommentaren bei wichtigen Veranstaltungen. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an die Betreffenden. Und nicht immer fair sind die Berichterstattungen, wenn die so ‚Supertalentierten‘ diese in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen können.

Ob Talente ein Segen oder eine Belastung sind, hängt ganz von den Umständen und den Situationen ab, in denen sie sich zeigen können. Das Risiko, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, schwingt immer mit.
Die Geschichte des morgigen Sonntags aus dem Matthäus-Evangelium hat unsere Vorstellung von Talenten und Bewertungen ganz entscheidend geprägt. Matthäus hat sie als Erzählung Jesu über das „Himmelreich“, also die Herrschaft Gottes, aufgezeichnet: „Die Geschichte von den anvertrauten Talenten“; Luthers Überschrift lautet: „Die Geschichte von den anvertrauten Pfunden“.
Jesus erzählt von einem reichen Mann, der ins Ausland geht und seinen Geldbesitz – ‚Talente‘ ist ein festgelegtes Gewicht an Silber – seinen Knechten übergibt. Die anvertraute Höhe ist unterschiedlich; jeder bekommt, so ist es ausdrücklich gesagt, eine Summe „nach seiner Tüchtigkeit“. Die beiden stärker Bedachten handeln mit dem Geld, sie „wuchern mit den Pfunden“, und machen Profit.
Der Dritte ist ängstlich; er vergräbt die Silberpfunde, weil er Sorge hat, alles zu verlieren.
Bei der Rückkehr des Besitzers wird Bilanz gezogen. Die beiden Knechte, die Gewinn gemacht haben, werden gelobt. Und der Dritte – ihn macht der Besitzer herunter; er nennt ihn „böse“ und „faul“, obwohl der Knecht ihm das Seine ja ungeschmälert zurückgeben kann. Der Besitzer handelt also äußerst profitorientiert und auf seinen Gewinn bedacht.
Und mit ihm vergleicht Jesus „das Himmelreich“? So auf Gewinnmaximierung bedacht kann doch Gott wohl nicht sein? Ja, diese Geschichte hat ärgerliche Seiten.
Der Besitzer hat seinen Knechten etwas „anvertraut“. Er hat darauf vertraut, dass sie etwas daraus und damit machen.
Talente, das, was jemand kann, ist nach dieser Geschichte eine Gabe, ein anvertrautes Gut, nicht mit eigener Kraft erarbeiteter Besitz. Nach der Vorstellung der „Geschichte von den anvertrauten Talenten“ gibt Gott uns Gaben und Fähigkeiten. Er schenkt sie uns und vertraut darauf, dass wir etwas daraus machen. Das Vertrauen ist die entscheidende Voraussetzung der Gabe. Ob und wie wir dem gerecht werden, liegt an uns.
Ich denke, es entspricht unserer Lebenserfahrung, dass besonderes Talent, das sich der Öffentlichkeit stellt, oft auch harte Kritik und mitunter schwer zu ertragende Abweisung erfährt.
Da ist das Verhalten des dritten Knechtes verständlich: „vergraben“, nicht auffallen, sich verstecken und sich keinerlei Risiken und Gefahren aussetzen. Aber er verletzt das Vertrauen seines Talentgebers, er vertraut seinen Fähigkeiten nicht.

Mit dem Lob an die Beiden, die etwas eingesetzt haben, ermutigt die Geschichte, die empfangenen Talente zu entwickeln und einzusetzen – im Vertrauen auf den Geber und die eigenen Fähigkeiten.
Unter diesem Blickwinkel ärgert mich die Geschichte nicht mehr. Nicht Gewinnoptimierung ist das Ziel, sondern Entwicklung von Fähigkeiten und Stärken. Dann spiegelt sich in der Absicht und im Verhalten des Besitzers Gottes gute Schöpfungskraft, die uns Menschen etwas mitgibt, dass wir unser Leben bestehen. Gott traut uns etwas zu, er vertraut uns etwas an, das wir mit Vorteil und Gewinn einsetzen können.
Und das gilt längst nicht nur für die sogenannten ‚Supertalente‘ im sportlichen, gesellschaftlichen und künstlerischen Bereich. Von Rekordergebnissen, von fantastischen Börsengewinnen und weltweiter Anerkennung ist in der Matthäus-Geschichte nicht die Rede.
„Talente“, besondere Fähigkeiten, hat jeder von uns. Sie zu erkennen und dann zu entwickeln, im Vertrauen darauf, dass ‚etwas daraus wird‘, kann ganz unspektakulär sein. Dieses Talent kann den Betreffenden Freude machen, vielleicht auch andere mitreißen oder ihnen Hilfestellung leiten.
Wer schon einmal begeisterter Zuschauer eines Konzertes oder einer Theateraufführung war, kann das bestimmt nachvollziehen. Und das befriedigende Gefühl. wenn eine – vielleicht nicht ganz so einfache – Aufgabe gut bewältigt ist, kennt doch auch jeder von uns. Ein Dank, Lob und Anerkennung von anderen sind oft nur noch ‚das Sahnehäubchen‘.
Wenn wir uns wünschen, dass die guten Gaben, die Gott uns Menschen mitgegeben hat, auch wirklich zum Vorschein kommen und ausgelebt werden, dann können wir etwas erwarten – von unseren Fähigkeiten und Stärken, aber auch von den ‚Supertalenten‘.

Die Matthäus-Geschichte ermutigt uns geradezu, „mit seinen Pfunden zu wuchern“, wie Luther es ausgedrückt hat. Und diejenigen, die diese Fähigkeiten sehen und von den Talenten profitieren, erwarten hoffentlich nicht immer Rekordergebnisse und Weltsensationen. Vielleicht erinnern wir uns an die Matthäus-Geschichte, wenn wir selbst oder andere Leistungen wieder einmal äußerst kritisch bewerten.


Prädikantin Jutta Hovemeyer