Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung zum 31. Dezember 2022

Pfarrerin Katharina Wortmann

 Zwischen den Jahren – das sollte ein Wort sein und so geschrieben werden: Zwischendenjahren.
Denn es ist etwas ganz eigenes – eine eigene, eigenartige Zeit.
Es ist eine Zeit, in der ich genauer hinsehe.
Das alte Jahr geht – das neue Jahr kommt. Das Alte ist noch nicht ganz vergangen – das neue hat noch nicht begonnen. Eigentlich nur ein Datum. Wenige Tage im Kalender.
Und doch macht mich diese Zeit seltsam nachdenklich.

Zwischendenjahren werde ich immer janusgesichtig (beides keine Wörter, die mein Rechtschreibprogramm akzeptiert).

Janus war der römische Gott des Anfangs und des Endes.
Deshalb hat er hat zwei Gesichter, die in entgegengesetzte Richtungen blicken.
Eins seiner Gesichter wendet sich zurück, eins schaut nach vorn.

Janusgesichtig stehe ich zwischendenjahren.

Der Blick geht zurück, schweift über das vergangene Jahr.
Über die Tage und Stunden durch die ich gegangen bin.
Es sind Tage großer Ernsthaftigkeit zwischendenjahren. Mit Wehmut und mit Dankbarkeit.
Tage, an denen ich mich fragen lasse: „Wo kommst du her?“
Und ich antworte: Aus eisblauen Wintertagen und saftig-grünen Frühlingstagen, aus strahlend-hellen Sommertagen und bunten Herbsttagen. Aus Tagen wie Schneegestöber und Gewitter und aus mausgrauen November-Tagen.
All diese Tage hatte das Jahr bereit gehalten.

Janusgesichtig stehe ich zwischendenjahren.

Der Blick geht nach vorn – schaut in die unbekannte Zeit 2023.
Schaut mit Zweifel und Sorge. Mit Mut und mit Hoffnung und Freude.
Zwischendenjahren lass ich mich fragen: „Wo gehst du hin?“
Und ich sage: In Tage. In klirrend-blaue eisige und frühlingsgrüne Tage.
In Tage so hell und gelb wie Butterblumen. In Tage aus Regen und Wind und Tage, wie die meisten sind.

Viele der Stunden und Tage, die kommen, werden denen gleichen, die gewesen sind.
Manches aber wird neu sein. Und es werden Dinge passieren, die das Leben (grundlegend) verändern.

Was auch immer kommt – unterm Strich zählt nicht, ob schwere oder leichte, helle oder dunkle, bunte oder graue Tage sein werden. Auch nicht, ob sich meine Hoffnungen erfüllen oder Befürchtungen bewahrheiten oder ob ich meine Ziele erreiche.

Es kommt darauf an, was ich aus den Tagen mache.
Aus der Zeit – meiner Zeit – immerhin die einzige Zeit, die ich habe.

Es kommt darauf an, was für ein Mensch ich werde.
Ob ich lerne und neue Einsichten gewinne. Ob ich einstehe für das, was mir wichtig ist. Ob ich zuhöre und hinhöre, was andere zu sagen haben. Ob ich nehmen kann, was mir gegeben ist und ob ich was draus mache.

In meinem Scheitern und Gelingen steht Gott und sagt: Du gehörst zu mir. Ich bin bei dir alle Tage.
Ich antworte: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

 


Pfarrerin Katharina Wortmann