Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung vom 28. Oktober 2023

Prädikantin Jutta Hovemeier

Die Bilder von Leid und Schmerzen verfolgen uns alle – seit Februar letzten Jahres aus der Ukraine, jetzt aktuell nach den Terrorattacken der Hamas auf Israelis und der Reaktion Israels. Ein Ende der Auseinandersetzungen, eine Lösung der Konflikte, das wünschen wir uns doch alle. Einen Beitrag zur grundsätzlichen Diskussion über persönliche und vielleicht auch staatliche Reaktionen in Streitfällen könnte das Evangelium des kommenden Sonntags (Mt. 5, 38 – 48) bieten. Der gewählte Abschnitt stammt aus der „Bergpredigt„, in der Jesus erläutert, wie Gott menschliches Zusammenleben geordnet sehen möchte.
Die meisten von Ihnen werden die Schlagwörter kennen. Es geht um die Haltung des „Auge um Auge“ und „Zahn um Zahn“, gegen die Jesus die Aufforderung setzt: „Liebet eure Feinde!“ Das ganz konkrete Beispiel ist wohl das bekannteste Zitat aus diesem Textzusammenhang: „Wenn dich jemand auf die linke Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin!“
Angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage ist die Reaktion auf diese Aufforderung Jesu klar: „Das kann doch nicht wirklich Maßstab des Handelns für angegriffene Staaten sein!“ „Wenn ich angegriffen werde, schlage ich zurück.“
Wir alle wissen, wie es dann – bei staatlichen wie zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen – weitergeht: Die “Spirale der Gewalt„ schraubt sich immer höher – bis zu welchem Punkt? Bringt der totale Sieg oder der Gewinn eines Prozesses in letzter Instanz eine Lösung? Können die gegnerischen Parteien danach miteinander, wenigstens nebeneinander leben?
Ich denke, wir alle wissen, dass es für ein zukünftiges friedliches Miteinander mehr braucht. Lösungsfähig ist – so sehen es die Friedensforscher - unter anderem ein beidseitig akzeptierter Kompromiss.
Und da möchte ich noch einmal den Satz Jesu über das Hinhalten der anderen Backe ins Spiel bringen. In einem Kompromiss werden Zumutungen an beide Parteien gestellt: Keine Seite kann alles erreichen, was sie haben will, im Sinne des Evangeliumsverses vielleicht nicht die gesamte „andere Backe“ einem Angriff aussetzen, aber eben doch einen Teil.
Jesu Forderung ist eine Zumutung, ja eine Provokation, aber eben nicht zu einem weiteren Schritt in der Gewaltspirale. Statt einer totalen Vernichtung rückt Jesus eine – nicht banale und schmerzfreie – Lösung zwischen Streitenden in Blickfeld.
Damit ist für mich seine Forderung kein utopisches Wunschdenken, sondern ein Angebot, das aufzeigt, wie es gehen könnte, wenn nicht menschliches Anspruchs- und Machtdenken die Regeln bestimmen, sondern Gottes Bild vom Leben mit- und füreinander die Maßstäbe setzt. Also – ganz einfach? Nein, ganz sicher nicht. Aber ich wünsche mir – und viele werden es mit mir erhoffen, dass sich diejenigen, die Macht und Einfluss haben, durchringen, auch „die andre Backe hinzuhalten“, eben zurückzustecken, um Weiterleben – nebeneinander und bestenfalls miteinander – zu ermöglichen.
Dafür werde ich beten – sicherlich nicht allein.


Prädikantin Jutta Hovemeier