Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung vom 18. November 2023

Diakon Michael Biesewinkel

Als Diakon habe ich schon viel gelesen und gehört über Gerechtigkeit und Nächstenliebe und habe theoretisch eine ganz gute Vorstellung davon. Im Alltag versuche ich diese Begriffe auch praktisch mit Leben zu füllen. Wie gut oder schlecht mir da gelingt, dass mögen andere entscheiden. Immer ist es auch gar nicht möglich gerecht zu sein, weil man im Alltag in Rollen funktioniert welche einem gewisse Rahmenbedingungen quasi als Korsett anlegen aus denen heraus man nicht anders handeln kann. Darüber hinaus mag das, was ich tue mein Gegenüber in seiner Lebenswelt so gar nicht als gerecht oder liebenswürdig empfinden. Auch das kann ich nicht immer beeinflussen und muss es auch gar nicht. Spannender ist die Frage, ob das was wir tun wirklich von Herzen kommt und ob unser Alltagshandeln anderen Menschen gegenüber wirklich von einer inneren Überzeugung begleitet und getragen ist.

Beurteilt wird das spätestens einmal am Ende des irdischen Lebens, denn im zweiten Korintherbrief lesen wir die Zeilen von Paulus: „Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Korinther 5, 10). Da heißt es dann also das ich mich einmal ehrlich machen muss. All das, was ich bewusst oder unbewusst im Leben verborgen habe oder wo ich mir und anderen gegenüber nicht ehrlich war, vor Gott wird es offenbar. Schon jetzt empfinde ich das als befreiend, denn eine Fassade kann auch belastend sein. In den letzten Jahren verwende ich auf den guten Schein auch keine Energie mehr, denn die Pubertät liegt glücklicherweise schon länger hinter mir und ich muss mir nichts mehr beweisen. Ich bin nicht mehr auf der Suche nach dem besonderen Kick im Alltag. Gerade als Rollstuhlfahrer musste ich das mühsam lernen, weil es schon den einen oder anderen Menschen in meinem Leben gab, der mich glauben lassen hat ich müsste gerade aufgrund meiner körperlichen Situation ansonsten möglichst fehlerfrei und scheinbar ohne Sünde sein. Heute weiß ich, und wünsche diese befreiende Erkenntnis allen Menschen, dass es darum nicht geht. Kleine Sünden lassen sich ohnehin nicht vermeiden und geben dem Leben eine gewisse Würze. Das gilt dann auch für meine gelebte Nächstenliebe und mein Mühen um Gerechtigkeit. Auch hier geht es nicht um Perfektion. Das wäre auch zu einfach. „Jeden Tag eine gute Tat“ heißt es doch so gern und sicher eine solche ist auch keineswegs verboten oder schädlich, aber näher zu Gott bringt mich das nicht automatisch. Ich erhalte hier also keine Anleitung, um mit weißer Weste vor dem Weltgericht bestehen zu können. Entscheidender ist das mein Tun und Handeln gegenüber anderen Menschen im Alltag immer ehrlicher Ausdruck meines christlichen Glaubens ist, denn dann kommt die Nächstenliebe und Gerechtigkeit fast schon automatisch dabei heraus. Der Blick für meinen Nächsten, egal in welcher Situation er oder sie sich gerade befindet, ist dabei immer ein wichtiger Ankerpunkt, denn gerade in der heutigen Zeit scheint eben dieser vielfach einzutrüben. Und der Glauben ist in stürmischen Zeiten ein wetterfestes Fundament, dass jedem Sturm trotzt und auf dem wir viel aufbauen können. Für uns und für andere.


Diakon Michael Biesewinkel