Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung vom 12. November 2022

Pfarrerin Barbara Fischer

Ob ich es nicht manchmal unheimlich finde, fragen viele, im Dunkeln so alleine über den Friedhof nach Hause zu gehen? Die Fantasie lässt sich schlecht bändigen, das stimmt. Für mich verbindet sich mit meinem Weg über den Friedhof aber vor allem eins: Geschichten, Bilder und Erinnerungen. So ein Friedhof ist nicht nur bei strahlendem Sonnenschein ein guter Ort für Gespräche: mit Eltern, die ihre junge Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren haben, mit dem alten Herrn, der in aller Frühe mit seinem Rollator den Berg herunterkommt, um seiner Frau „Guten Morgen“ zu sagen, sich Brötchen kauft um dann den Heimweg anzutreten und bevor es aufs Feld geht, stoppt Mittvierziger seinen Trecker am Friedhof: Blumen für die Schwester, soviel Zeit muss ein. Menschen, Erinnerungen Geschichten. Friedhöfe sind Orte für Gespräche, für Erinnerungen und Bilder. In den Erzählungen werden Bilder wach, die sich in unseren Herzen eingebrannt haben, vielleicht schon seit Jahrzehnten. Oder es sind Bilder, die erst vor kurzem unser Herz ergriffen haben. Wenn ich über unseren Friedhof in Gehlenbeck gehe und am Ehrenmal vorbeikomme, dann wird in den letzten Wochen dieses Bild in mir wach. Im Fernsehen habe ich sie gesehen: kleine Mädchen mit hübschen Petticoat Kleidchen, die an einer Ballettstange tanzen. Ein Klavier ist zu sehen, Musik wird gespielt, in französischen Begriffen geredet. Und erst auf den zweiten Blick sehe ich: der Ballettunterricht findet im Luftschutzkeller statt.

Morgen ist Volkstrauertag. Die Fahnen werden wieder auf Halbmast wehen, Vertreter der örtlichen Vereine und Institutionen legen Kränze nieder. Alles wie immer und
doch in diesem Jahr ist alles anders. Der Krieg ist real, mitten in Europa. Seit 262 Tagen herrscht Krieg in der Ukraine und das bedeutet: real zerstörte Häuser, Menschen auf der Flucht, Luftangriffe und Drohnen. Mütter und Väter, Geschwister, Freunde und Freundinnen, Nachbarn, unzählige Geschichten von Menschen, deren Leben zerstört oder gewaltsam beendet wurde. Seit 262 Tage bitten wir um Frieden. Gottes Botschaft durch den Propheten Jeremia lautet: „Denn ich allein weiß, was ich mit
euch vorhabe: Ich, der HERR, habe Frieden für euch im Sinn und will euch aus dem Leid befreien. Ich gebe euch wieder Zukunft und Hoffnung. Mein Wort gilt!“ Ballettunterricht im Luftschutzkeller.


Pfarrerin Barbara Fischer
Ev. Kirchengemeinde Gehlenbeck