Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung vom 02. Juli 2022

Pfarrer Michael Beening

„Ey, du siehst voll kroko aus, gibst du mir mal den Tipp der Pinsel-Trulla oder noch besser die Addy von dem Augenstecher?“ – Ich komme mir vor wie in einem fernen Land mit einer fremden Sprache. Selbst die beste Übersetzungssoftware scheitert an der Aufgabe, Klarheit in die Inhalte dieses Satzes zu bringen, doch während sich bei Erwachsenen Fragezeichen auf der Stirn bilden, verstehen Heranwachsende problemlos, was damit gemeint ist.
Wer die Hoffnung hegt, am Ende dieser Andacht die Auflösung dieses rätselhaften Satzes präsentiert zu bekommen, braucht nicht weiterzulesen, denn ich weiß bis heute nicht, welche Botschaft darin transportiert werden soll. – Das ist für mich zwar ärgerlich, vom Sprecher aber durchaus gewollt! Denn die Ausdrücke der so genannten Jugendsprache haben in der Erwachsenenwelt nichts zu suchen! Da kommen selbst Wörterbücher wie „Hä??? – Jugendsprache unplugged“ an ihre Grenzen, weil nichts so kurzlebig und wandelbar ist, wie die Begriffe, mit denen Jugendliche sich untereinander verständigen.
Wer außer ihnen weiß denn schon, dass die „Apothekenrundschau“ als „Rentner-Bravo“ bezeichnet wird, dass eine Zahnspange zur „Panzerkette“ wird und ein Solarium zum „Münzmallorca“? Ein unter Akne leidender Mensch wird zum „Clearasil-Testgelände“, ein Umweltschützer mutiert zum „Baumkuschler“ und der Kleinwagen zum „Elefantenschuh“.
Seit 2008 wird jährlich ein Wort aus der Sprachwelt der Heranwachsenden zum „Jugendwort des Jahres“ gekürt, doch heute ist nicht mehr eine fachkundige Jury für die Vergabe dieser Auszeichnung zuständig, sondern jeder Mensch hat die Möglichkeit, sich online an der Stimmvergabe zu beteiligen.
Im Jahr 2020 hat sich der Begriff „Lost“ mit deutlichem Abstand vor vielen anderen Bewerbern durchgesetzt. Wörtlich übersetzt bedeutet "Lost" verloren. Im Jugendjargon steht dieser Begriff für "unsicher", "ahnungslos" oder auch "unentschlossen".
„Lost“ – mir kommt es vor, als sei dies das beherrschende Lebensgefühl der Menschen in unserem Land, wenn nicht sogar weltweit. Auch ich bin immer mehr verunsichert, ahnungslos und unentschlossen: welcher Information kann ich trauen? Welches Foto ist echt? Welche Position kann ich beziehen? Welche Ansicht darf ich äußern? Welchen Weg soll ich gehen? Welche Entscheidung ist richtig?
Stillstand ist oft die Folge, Müdigkeit, ein Wie-Gelähmt-Sein! Ängstliches Verharren in der Situation! Es geht nicht weiter! Alles, was ich tue oder sage, scheint irgendwie falsch zu sein! Vieles ist zu kurzsichtig! Anderes zu komplex! Wo finde ich Klarheit? Wer lügt mich nicht an? Auf wen kann ich mich verlassen? An wem kann ich mich festhalten?
Im Lukasevangelium gibt es einen Satz Jesu, der als neuer Wochenspruch in den kommenden sieben Tage mit uns gehen will: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ Lukas 19,10
Man könnte auch sagen: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was lost ist.“ – Da ist jemand auf der Suche, der mich aus lauter Liebe wiederfinden will, um mich zu befreien von meiner Unsicherheit, Ahnungslosigkeit und Unentschlossenheit. Da geht mir jemand nach, der meinem Leben einen Sinn und ein Ziel gibt. Da will einer meinen Stillstand überwinden, mich mit Entscheidungskraft ausrüsten und neu in Bewegung setzen.
Vor allem aber: da fühlt einer mit mir, der meine Verzweiflung kennt und alles dafür getan hat, was nötig ist, um „Lost“ zu überwinden! Für das, was er mir sagen und für mich tun will, brauche ich keine Übersetzungshilfe. – Das können alle verstehen! Gott sei Dank!


Pfarrer Michael Beening