Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 27. Januar 2024

Pfarrer Eberhard Helling

Heute ist der 27. Januar. Und eins – und zwei – und drei… Ob Petrus wohl heimlich mitgezählt hat bei dem bekanntesten Hahnenschrei der Welt. Sein Verrat war ein Absturz mit Ankündigung. Der Meister hatte ihm schon vorhergesagt: bevor der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnet haben. Und genau so ist es eingetroffen. Zugegeben: Petrus fühlte sich eingekeilt. Sein Meister war verhaftet, wurde verhört, gefoltert – nun fragen die Leute im Gerichtshof, ob er nicht auch dabei war – bei diesem Jesus: „doch, klar, wir haben dich gesehen!“ – „Nein – ich weiß nicht von wem du da faselst!“ – Und eins! „Doch, du warst auch dabei, ich hab dich gesehen!“ – „Hör auf, ich weiß nicht, wovon du redest.“ – Und zwei! – „Aber natürlich, deine Sprache verrät dich – du hast doch auch diesen komischen Dialekt der Leute aus Galiläa!“ – „Mensch, hört auf! Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt!“ – und drei!

„Und eins! Und zwei! Und drei! Und Judenschwein!“ So hört Joshi Safier es auf dem Weg zur Prüfung in der Uni Wien 1938. Sein Sohn, David Safier, der bekannte Schriftsteller erzählt von seinem Vater in dem Buch „Solange wir leben“: Eine grölende Menge von Studenten werfen jüdische Mitstudenten aus dem Fenster im ersten Stock des alten Wiener Universitätsgebäudes. Die jüdischen Studenten knallen mit voller Wucht aufs österreichische Kopfsteinpflaster. Verletzen sich schwer, unerträglich anzuschauen. Joschi Safier sorgt dafür, dass er so schnell wie möglich weg kommt – nach Palästina? Freunde, die er bis dahin hatte… schweigen, drehen sich weg, kennen ihn nicht mehr – und eins – und zwei – und drei!

Heute vor 78 Jahren, am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee der damaligen Sowjetunion das Vernichtungslager Auschwitz. Die Nationalsozialisten mordeten noch weiter. Menschen, wie Dietrich Bonhoeffer sterben in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges, der bis zum 8. Mai 1945 noch andauern sollte.

Sollte die AfD in unserem Land einmal das Sagen haben, dann werden sehr bald die Gelder für Gedenkstätten weiter gekürzt. So wie jetzt schon in der Gedenkstätte Stukenbrock die Unsicherheit um sich greift, was genau dort geschehen soll. Es steht die Frage im Raum: können, sollen wir uns das Gedenken an die Verbrechen der Nationalsozialisten noch leisten? Und eins! Um wen oder was soll ich mich denn noch alles kümmern?! Und zwei! Lasst mich doch bitte einmal mit all den Horrorgeschichten von früher und von heute in Ruhe – ich kann nicht mehr… Und drei!

Heute, am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus habe ich noch eine Hoffnung: die Geschichte vom Verrat des Petrus wird offengehalten. Im Neuen Testament wird berichtet, dass der vom Tod auferstandene Jesus seinen Jünger Petrus, den Verräter noch einmal anspricht: er gibt ihm die Möglichkeit, sich in der Beziehung zu anderen Menschen zu bewähren. Petrus wird diese neue Lebensmöglichkeit nutzen. Er wird Kontakte knüpfen zu Menschen, die er in seinem alten Leben nicht mit der Kneifzange angefasst hätte. Petrus wird einem römischen Besatzungsoffizier begegnen und ihn zur Gemeinde der Jesus-Leute hinführen. Das ist so, als ob ein jüdischer Offizier unserer Tage einen Hamas-Kämpfer bei sich unterbringt.

Was ist das? Sozial-Romantik? Geistliche Schwärmerei? Unsere einzige Chance? Heute, am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens, haben wir wirklich viel nach-zu-denken.



Eberhard Helling, Pfarrer in Lübbecke