Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 26. September 2020

Pfarrer Udo Schulte

Steine, die einen Glanz bekommen

Immer wieder gibt es Hindernisse im Leben, die uns den Weg versperren. Wie Steine liegen sie vor uns. Ohne Umwege, ohne sich den Widerständen zu stellen, geht es dann nicht weiter. Lieber würden wir ohne Hindernisse und Störungen den Lebensweg gehen. Der unbekümmerte Weg nach vorne scheint für uns der beste Weg zu sein, möglichst ohne Krankheit, ohne Konflikte, ohne schwere Herausforderungen und lästige Widerstände. Aber so verläuft das Leben in aller Regel nicht. Wunsch und Wirklichkeit liegen weit auseinander.
Viele Menschen wünschen sich in unseren Tagen, dass die Bedrohung und die Einschränkungen durch Corona endlich vorbei wären, dass das Leben so sein könnte wie vor der Pandemie. Wir sind es leid, ständig mit Auflagen leben zu müssen, nicht unsere Zukunft planen zu können, nicht die ersehnten Reiseziele anzusteuern, nicht sorglos zu feiern und sich begegnen zu können. Es wäre doch so schön, wenn - wie durch ein Wunder - diese Krankheit verschwinden würde oder durch ein passendes Medikament bekämpft werden könnte.
Es geht bei vielen Menschen sicherlich um mehr als allein um den ausgefallenen Urlaub oder abgesagte Feierlichkeiten, es geht wesentlich um Schule und Bildung, um Arbeitsplätze und besonders um junge und alte Menschen.
Wer rollt den Stein weg, der uns den Weg verbaut?
So verständlich dieser Wunsch sein mag, so geht er doch häufig an der Realität vorbei. Probleme, Hindernisse, Krankheiten und Konflikte lösen sich in der Regel nicht von selbst auf, sondern fordern von uns Menschen ein neues Verhalten, einen neuen Umgang mit dem Leben heraus.
Steine, so möchte ich es formulieren, brauchen einen neuen Glanz! Einen Glanz bekommt ein Hindernis, wenn ich lerne zu verstehen, was mir diese Herausforderung sagen will. Der Wunsch, ein Problem einfach aus dem Weg zu räumen, ist häufig zu kurz gegriffen. Ein Widerstand kann zu einem wertvollen Ratgeber werden. So zum Beispiel auch die Hindernisse der Corona-Einschränkungen. Wir sind herausgefordert, darüber nachzudenken, was uns im Leben wirklich wichtig ist, worauf wir verzichten können und worauf wir auch verzichten sollten.
Der Stein der Einschränkungen zeigt uns überdeutlich, wie wichtig gute und tragfähige Beziehungen sind, wie wichtig Menschen sind, die sich um das Notwendige kümmern und wie überflüssig Luxus sein kann, wenn es im Gegenzug um das nackte Leben geht.
Wir erkennen durch Hindernisse, wie wichtig für eine Gesellschaft Familie, Schule und Bildung ist, wie wichtig ein ausreichendes Gesundheitswesen ist, wie nötig das „tägliche Brot“ ist und wie wir auf manches verzichten können, was uns zu Schleuderpreisen angeboten wird und vorher um die halbe Welt verfrachtet wurde.
Wir können erkennen, dass unser Leben mehr ist als Konsum und Vergnügen, eben ein Leben im Miteinander, auch in der Verbindung zum Sinn des Lebens, der mehr ist als alles, was wir uns kaufen können. Wie erfüllend ist die Erfahrung, anderen zu helfen und die Not zu lindern. In uns Menschen steckt mehr, als wir uns mit Geld kaufen können, in uns entdecken wir etwas, was der christliche Glaube mit der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott verbindet.
Unter diesem Blickwinkel sind die Hindernisse nicht einfach weg, aber sie erhalten einen anderen, einen neuen Glanz. Die Steine fangen an zu leuchten, sie erzählen uns eine neue Geschichte. Sie erzählen uns von dem Leben, von dem Wert der Gemeinschaft, von der Fähigkeit des Menschen, anderen zu helfen, von dem, was uns wirklich satt macht und von dem, was unseren Lebenshunger eher noch größer macht.
Sollte man sich solche Steine auf dem Weg wünschen? Sicherlich nicht, aber wir brauchen auch nicht gleich verzweifeln und wie ein Ertrinkender nach jedem Strohhalm greifen. Hindernisse im Leben sind nicht begehrenswert, aber sie müssen uns nicht in Schockstarre versetzen.
Viele Hindernisse können einen Glanz entwickeln, der unserem Leben letztlich gut tut und einen Tiefgang verleiht. Steine, die anfangen zu glänzen, sind für mich Ausdruck einer Lebenserfahrung, die das Schwere nicht verdrängt, sondern in den Herausforderungen auch die Nähe und Fürsorge Gottes entdecken möchte.


Pfarrer Udo Schulte