Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 23. Januar 2021

Pfarrer Eberhard Helling

Meine Sehnsucht

Je älter ich werde, desto dünnhäutiger werde ich. Woran das liegt? Ob das Leben schon zu sehr an mir und meiner Seele geschrubbt hat? Da wird man dünnhäutig. Ob vielleicht auch deswegen einige Leute immer gereizter werden, weil sie die Zumutungen dieser Tage nicht mehr aushalten wollen, nicht mehr aushalten können?

Ich sehne mich nicht danach, dass mir ein dickes Fell wachsen könnte. Eher sehne ich mich danach, ganz einfach wieder mit anderen zusammen kommen zu können, zu singen, Gott zu feiern, Gottesdienst zu feiern – und diese Sehnsucht ist uralt: „Gott, du bist mein Gott den ich suche. Nach dir dürstet meine Seele“ (Psalm 63, Vers 2) Offensichtlich gibt es diese Sehnsucht nach Gott schon lange.

Warum diese Sehnsucht? Vielleicht weil wir Menschen von Zumutungen und falschen Versprechungen umgetrieben sind. Schon immer hat das Leben nicht gehalten, was uns einmal versprochen worden ist oder was wir uns erträumt haben. Und schon immer sind Menschen aufgetaucht, die andere mit ihren Hirngespinsten hinters Licht geführt haben – „fake news“, falsche, erfundene Nachrichten sagen wir heute. Im Psalm 63 wird im letzten Vers die Erwartung formuliert: „die Lügenmäuler sollen verstopft werden.“ (Psalm 63, Vers 12) Also schon in der Zeit der Psalmen galt: Wenn diesen Lügenmäulern erst einmal die Bühne genommen wird, wenn ich ihnen nicht mehr zuhören muss und ihren falschen Behauptungen nicht mehr auf den Leim gehen kann, dann fängt noch nicht gleich das Paradies auf Erden an. Aber ein guter Schritt in Richtung Leben wäre schon mal getan.

Dann denke ich über alles nach, was so geschieht – und frage mich: „Was hat das alles mit dir zu tun, Gott? Steckst du hinter diesen Zumutungen, die wir gerade durchleben müssen? Was willst du uns sagen?“ Und es scheint mir, als ob auch diese Erfahrungen schon längst in unserem Psalm auftauchen: „Wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich, wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.“ (Psalm 63, Vers 7)
Und - bringt das was? Nicht sofort, nicht mit einem Fingerschnips; nach dem Motto: immer nur schön an Gott denken – und schon sind deine Probleme gelöst. Nein, so läuft das nicht.

Allerdings kann sich nach Stunden und Tagen der Unruhe die Gewissheit einstellen: Ich werde getragen, ich bin nicht allein! Mehr noch: kein dickes Fell, es kommt noch besser: der Allmächtige, Schöpfer Himmels und der Erden hat ein Auge auf mich. Eine tiefe Freude strömt durch meine Knochen und meine Gedanken – oder wie es der Psalm formuliert: „du bist mein Helfer – und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich. Meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich“. (Psalm 63, Vers 8f) Was dieser alte Psalm 63 doch für eine Ausstrahlung hat… bis heute?!


Eberhard Helling, Pfarrer in Lübbecke