Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 19. März 2022

Pfarrer Friedrich Stork

Das Kreuz mit dem Kreuz

In früheren Zeiten – also vor 3½ Wochen – sprachen mich Mitmenschen immer mal wieder an auf ihre Probleme mit dem Kreuz. Und diesem unmodernen Gerede von der Schuld und so. Warum denn ausgerechnet so ein Symbol? Es drücke doch so viel Gewalt aus; würde Kinder erschrecken; und überhaupt: Hätte Gott den Menschen nicht auch einfach so liebhaben können? Hätte er den Menschen nicht auch einfach so vergeben können? Ohne Kreuz und all das?
Ja, was wäre wohl, wenn Gott zu den weinenden Kindern, den getrennten Familien, den getöteten Schwangeren in Mariupol und den erschossenen Männern nicht mehr übrig hätte als ein Achselzucken: „Ach ja. Menschen sind halt manchmal so. Vergessen wir das einfach. Am besten, wir reden nicht darüber und gut ist.“
Nein, es ist nicht gut. Und deswegen spricht Gott darüber; zeigt mit dem Finger genau dahin. Gott vergisst die Opfer nicht. Und so schreibt auch ein Apostel Paulus [2. Kor. 5,10]: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi“. Deswegen geht es nicht ohne das Kreuz. Denn damit zeigt Gott: „Ich lehne euer Tun ab. Ich bin nicht einverstanden mit eurer Sünde. Ich will nicht, dass dies geschieht. Ich will nicht, dass der Mensch den Menschen frisst. Dieses Kreuz, das ist eigentlich eure Strafe. Das hättet eigentlich ihr Menschen verdient. Seht her, dahin führt die Sünde! Und ich bin auf der Seite der Opfer, denn ich dulde die Sünde nicht.“ Im Kreuz geht es um die Opfer, die unser Tun hinterlässt. Das Kreuz erinnert uns daran, dass unser Tun Konsequenzen hat. Das Kreuz gibt es nicht um Gottes, sondern um der Menschen willen.
Aber es gibt da auch eine Besonderheit: Das Kreuz wird eben nicht an uns vollzogen, sondern Gott nimmt es auf sich selbst. Gott verurteilt die Sünde, aber dem Sünder will er noch eine Chance eröffnen. So sehr liebt Gott die Welt, daß er lieber für sie stirbt, als dass er sie verloren gäbe.
Auf das Kreuz sehen beide: Das Opfer zur Gerechtigkeit. Dem Täter aber ist es ein Spiegel, indem er sich erkennen kann. Und er sich bekennen kann. So ist es nicht sein Ende, sondern - wenn es ernsthaft ist - der Beginn seiner Umkehr. Und genau dadurch eröffnet Christus uns Menschen - uns Tätern und Opfern - eine Zukunft. Nur unter dem Kreuz ist Versöhnung möglich. Denn nur das Kreuz geht nicht an den Opfern vorbei. Diesen Weg muss jede Generation neu für sich entdecken. Sie kann ihn gehen oder es lassen. Und beides erleben wir ja auch. Aber deswegen ist es wichtig, immer wieder und immer noch über das Kreuz zu reden. Und über Schuld. Und darüber, wie man weiterleben kann. Auch nach dem Krieg. Nach jedem Krieg.


Pfarrer Friedrich Stork, Ev. Martins-Kirchengemeinde Espelkamp