Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 14. November 2021

Pfarrerin Barbara Fischer

Luise öffnet vorsichtig die Tür und tritt ins Zimmer. Schrank, Tisch, Bett, ein kleiner Balkon und der gemütliche Ohrensessel von zu Hause. Das ist jetzt wohl die letzte Station im Leben. Luise kennt das Altenheim schon lange. Als ihre Freundin hier gelebt hat, ist sie hier oft ein- und ausgegangen, aber da kam sie immer nur zu Besuch. Und jetzt? Nach dem Tod ihres Mannes war es zu Hause einsam geworden. Alles wurde beschwerlicher und wenn sie ehrlich ist, manchmal gruselte es sie auch so ganz allein in der großen Wohnung. Die Kräfte hatten einfach nachgelassen. Luise steht am Fenster und lässt ihre Gedanken schweifen. Die Kindheit in ihrem Heimatdorf. Das Leben mit den Eltern und Geschwistern zwischen Moor und Berg. Torfstechen, Zigarrenmachen – das Leben spielte sich auf der Hofstelle ab. Tiere und Menschen unter einem Dach. Gerüche und Geräusche steigen in Luise auf – so fühlt sich Heimat an. Später dann, nach der Hochzeit, hat sie mit ihrem Mann ein eigenes Haus gebaut. Neu und modern sollte alles sein, aber auf jeden Fall ganz in der Nähe – mitten im Dorf. Später dann noch einmal der Umzug in die Kleinstadt, damit die Wege nicht mehr so lang waren. Eine schöne Wohnung hatten sie, mit Blick auf den Berg.

Luises Blick fällt auf den gemütlichen Ohrensessel. Ist dies nun ihr letztes Zuhause? Draußen ist es Herbst. Am Sonntag ist Volkstrauertag. Luise denkt an Onkel Heinrich, der im Krieg gefallen ist und an ihre Freundin, die so oft von der Flucht mit Pferd und Wagen über das Haff aus Ostpreußen erzählen musste. Bei ihrer Beerdigung hat die Pfarrerin einen Text aus der Bibel vorgelesen, der sie beeindruckt hat: „Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.“ Ein ewiges Haus im Himmel. Das klingt schön. Es klingt nach Ruhe und Ankommen, nach Heimat haben. Umzugsprofi ist sie ja nun nicht geworden in ihrem Leben, immer war der Abschied schwerlich: von der elterlichen Hofstelle, vom Familienhaus und nun musste sie sogar ihre Wohnung aufgeben. Den gewohnten Platz verlassen und sich an ein neues Zuhause zu gewöhnen, ist ihr schwer gefallen.

Aber immer wieder hat sie geahnt, dass ihr Zuhause nur vorläufig sein würde. Sogar jetzt im Altenheim wird es so sein. Wenn ihre Zeit gekommen ist, wird sie auch von hier gehen müssen. Noch einmal umziehen, die irdische Hütte verlassen und in Gottes Haus der Ewigkeit einziehen – irgendwie erfüllt das Luise mit großer Ruhe. „Wie wird es sein, das Zuhause bei Gott?“, fragt sie sich. Und stellt sich vor, wie sie nach ganz vielen Jahren wieder zurückkehrt und Gott sie willkommen heißt, wie Eltern, die nach langer Zeit ihre Kinder wieder begrüßen. Sicherlich wird Gott sie an einen großen Tisch bitten, es wird zu essen geben und vor allem wird erzählt. Dann wird gewürdigt, was war – das Gute und das Schwere. Und sie darf solange sitzen bleiben, wie es ihr gut tut. Vielleicht sieht sie sogar alle wieder, die vor ihr aufgebrochen sind – ihren Mann, ihre Eltern und Geschwister, die Freundin aus Kindertagen.
Luise lächelt und setzt sich in ihren Ohrensessel. Sie freut sich auf ihre Zeit mit der Hausgemeinschaft. Auf Besuche von Kindern, Enkeln und Freunden. Und sie freut sich auf das, was danach kommt. Wenn dieses irdische Haus, diese Hütte abgebrochen wird und wir umziehen dürfen in ein Haus, das ewig ist im Himmel.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Barbara Fischer
Pfarrerin in der Kirchengemeinde Gehlenbeck