Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 14. November 2020

Die auf den Herrn harren

Ganz klar ist das ein ziemlicher Luxus. Jeden Tag nehme ich mir Zeit für ein ausführliches Hunde-Gassi! Gerne gehen wir in den Wald, aber weil in diesem Herbst so viele Bäume in unserem Waldrevier gefällt werden, zieht es mich inzwischen häufiger hinunter ins Feld in die Nähe des Freibades. Der Blick auf den Nordhang des Wiehens ist an den wunderbaren Herbsttagen der letzten Woche einfach unvergleichlich. Dieses Farbenspiel ist einfach bezaubernd und kaum zu zählen die verschiedenen Grün-, Orange- und Brauntöne, mit denen der „Berch“ uns anlächelt.

Auf den Feldern liegt an den schattigen Stellen noch der letzte Tau, Stimmen sind zu hören: ein Specht klopft an einen Stamm, ein Fasan schreit nach seiner Frau und die imposanten Rinder haben sich auch zuweilen etwas zu erzählen. Am Himmel findet großes Kino statt: die ersten Kraniche ziehen über das Land und haben die letzten Störche abgelöst und nun strahlt der Himmel blau und glasklar. Was für ein Luxus !
Und ich? Ich lasse mich von der Sonne wärmen, suche ein windstilles Plätzchen, lausche den Gesängen und Gesprächen der Tiere und sauge die Farben ganz tief in meine Seele.

Da fällt mir Frederick ein. Die Maus aus dem Kinderbuchklassiker von Leo Lionni. Im Herbst, als alle Mäuse geschäftig umherlaufen, Früchte sammeln und Körner und Blätter, sitzt Frederick in der Sonne und staunt. Er sammelt Farben, Wörter und die Wärme der Sonne. Die eifrigen Mäuse necken ihn und schimpfen, dass er so faul dasitzt. Doch als der Winter kommt und die Tage dunkel, kalt und lang werden, da kann Frederick bei den Mäusen punkten. Nun sind sie froh, dass er Farben und Wörter und die Wärme der Sonne gesammelt hat und ihnen davon abgeben kann.

„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler“ so heißt es im Buch des Propheten Jesaja. Woher kommt meine Kraft, woher soll jetzt noch meine Kraft kommen? Diese Frage bedrängt mich zur Halbzeit des zweiten Lockdown. Sie nennen ihn einen „Lockdown light“, mir kommt es fast härter vor, als im Frühjahr. Woher soll meine Kraft jetzt kommen, wo die Tage immer kürzer werden und die Zeiten so unsicher und unruhig sind? In der Bibel lesen wir, dass Jesus sich häufiger in die Einsamkeit und auf einen Berg zurückgezogen hat, wenn es brenzlig wurde. Sich zurückziehen, sich herausziehen – ist das eine Form des Harrens? Im Moment sind wir alle zwangsweise rausgezogen. Manche kämpfen mit Einsamkeit und andere mit Überlastung: in der Familie, im Beruf, im Freundeskreis. Das Leben ist anstrengend und umständlich geworden. Ich denke mir dann: Genieß den Luxus! Geh raus, guck in den Himmel, guck in die Welt, damit du spürst, hörst und riechst, was Gottes Welt zu bieten hat. „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!“

Auf meinem Rückweg ins Dorf fällt mein Blick auf den „Ruhrschnellweg“. Wie auf einer Perlenkette sind da lauter gelbe Puschel aufgereiht. Die Lindenallee hat sich verwandelt, sieht aus wie gemalt. „Indian Summer“ in Ostwestfalen, wie schön, dass ich dabei sein darf. „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!“ Ich vertraue darauf und wünsche Ihnen, dass Sie gut durch den November kommen und die weiteren zwei Wochen des Lockdown heil überstehen.

Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen Barbara Fischer


Pfarrerin in der Kirchengemeinde Gehlenbeck