Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 14. Dezember 2019

Pfarrer Jürgen Giszas

Zwei Jahre alt war er damals, unser mittlerweile den Kinderschuhen entwachsener Sohn, als er sich an einem Karfreitag meines Autoschlüssels bemächtigte. Augenzwinkernd hatte ich bislang seine Leidenschaft quittiert, Schlüssel jeglicher Form und Größe zu sammeln – und sie in geheimen Depots zu hinterlegen. An jenem Tage war ich allerdings im Begriff, in den Nachbarort zu fahren, um dort mit der Gemeinde Gottesdienst zu feiern. Das ganze Haus habe ich auf den Kopf gestellt und bereits einen Presbyter in Fahrbereitschaft versetzt, bevor ich quasi in letzter Minute den Schlüssel im Keller fand.
Nein, wir lieben es nicht, vor verschlossenen Türen zu stehen! Weder vor dem stillen Örtchen noch vor dem Eingang des Supermarkts oder auch der Arztpraxis – und erst recht nicht vor zugesperrten Autotüren.
Wenn wir unsere Kindheitserinnerungen zu Wort kommen lassen, dann wird uns allerdings bewusst, dass wir gerade dieser Tage wieder vor einer verschlossenen Tür stehen. Und der Raum, von dem sie uns fernhält: Er beinhaltet den Weihnachtsbaum, die alte Krippe aus dem Familienbesitz – und natürlich die Geschenke. Er birgt das ganze weihnachtliche Kinderglück!
Ein skeptischer Geist könnte nun nachfragen, warum wir eigentlich nicht ohne Umschweife Weihnachten feiern. Weshalb tun wir uns überhaupt Advent an? Sperren uns, wenn auch auf Zeit, freiwillig aus: für die Brenndauer von vier Kerzen – bzw. vierundzwanzig Tage lang, um an jedem einzelnen ein Türchen zu öffnen? Nichts und niemand hinderte uns doch daran, den legendären Stall von Bethlehem unverzüglich aufzusuchen!
Als ich seinerzeit im Keller des Pfarrhauses in die Mauernische griff und meinen verlorengeglaubten Schlüssel hervorzauberte, fühlte ich mich mit einem Male wie ein vom Glück verwöhnter Schatzsucher, der grundlos beschenkt wird! Jeglicher Anflug von Ärger war mit einem Male verflogen.
Mir wurde bewusst, dass auch die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten des Alltags bisweilen alles andere als selbstverständlich sind, sondern Staunen und vor allem auch Freude hervorrufen können! Wenn es aber Zeiten im Leben braucht, um scheinbar Selbstverständliches wie mit neuen Augen zu sehen – um wie viel mehr gilt diese Weisheit dann erst mit Blick auf Weihnachten? Denn wenn etwas alles andere als selbstverständlich genannt werden kann, dann doch zweifelsohne das Geschehen der Heiligen Nacht!
Es ist wahrlich nicht selbstverständlich, dass die Liebe Gottes menschliche Züge annimmt! Es ist wahrlich nicht selbstverständlich, dass Wesen aus Licht und Sternenstaub mit ihrem Gesang das Firmament zum Klingen bringen. Und dem trockensten Erdreich blühende Rosen entspringen.
Und darum braucht es wohl die zunächst noch verschlossene Tür, bevor wir in den Stall von Bethlehem eintreten und zu Mitwissenden des weihnachtlichen Glücks werden können! Es braucht Zeit, damit sich einem das Geheimnis dieser besonderen Nacht erschließen kann – im wahrsten Sinne des Wortes! Die Zeit der Vorbereitung. Die Zeit des Vorgeschmacks. Und, ganz wichtig, auch die Zeit der Vorfreude. – Gut, dass es den Advent gibt, diesen unverzichtbaren und glückbergenden Schlüsselreiz!


Pfarrer Jürgen Giszas
Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke