Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 12. September 2020

Pfarrer Steffen Bäcker

Eine Episode aus der Bibel beschäftigt mich in diesen Tagen: Jesus und seine Freunde begegnen einem blind geborenen Mann. Die Freunde fragen: Jesus, wer hat gesündigt, er oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde. Jesus antwortet: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt. Aber die Werke Gottes sollen sich an ihm zeigen, und wir sollen tun, was Gott von uns will, solange es geht. Diese Geschichte, die mit einer Heilung schließt, steht im Johannesevangelium im 9. Kapitel.

Wer hat gesündigt, dass er blind geboren wurde? Diese Schuld-Frage scheint mir heute fern – und doch ganz nah zugleich. Natürlich reden heute nur noch wenige von Sünde als Ursache von Krankheiten. Aber zugleich stellen viele angesichts einer Krankheit doch die Frage: Was habe ich getan, damit mir dieses oder jenes passiert. Oder man sieht Krankheiten eben doch als Folge eines wie auch immer ungesunden Lebens.

Auch in dieser Corona-Zeit ist die Frage „Wer hat gesündigt“ gar nicht so fern. Politische Scharlatane schieben die Schuld einzelnen Ländern zu, China zum Beispiel, als ob die das Virus schuldhaft und absichtlich oder zumindest fahrlässig in die Welt gebracht hätten. Und wenn sich hier jemand infiziert, dann ist die Frage nach der Schuld ja auch oft nicht so fern: Musste der denn unbedingt reisen? Musste diese Feier sein? Sind die nicht immer auch unvorsichtig?
Ich habe Verständnis für die alte Frau, die mit ihren Kindern eine kleine Reise machen will, weil sie seit Monaten ihre Wohnung und ihren Ort nicht mehr verlassen hat. Ich habe Verständnis für die Jugendlichen, die voller Energie stecken und nach Monaten, in denen sie zuhause hockten, sich treffen wollen. Ich habe auch Verständnis für die Paare, die nach langer Vorbereitung nun ihre Liebe und ihre Hochzeit feiern möchten, wenn auch kleiner und anders als ursprünglich gedacht.
Klar: Es gibt viele Situationen, in denen man sich anstecken kann. Und viele Reglungen zur Zeit sollen solche Situationen sicherer machen. Das finde ich richtig und gut. Man darf das Virus nicht herausfordern. Sonst schlägt es erbarmungslos zu. Durch Leugnen ist eine Gefahr noch nie überwunden worden.
Und trotzdem müssen wir leben und sollen wir leben.

Wenn es dann doch trotz aller Vorsicht passiert, dass sich jemand ansteckt, ist das dann Schuld? Oder ist es nicht eher Schicksal? Ich glaube, die Antwort Jesu auf die Frage nach der Schuld des blind Geborenen hat uns auch heute etwas zu sagen: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt. Wenn jemand krank wird, dann ist das Schicksal. Egal, ob es eine Virus-Infektion ist oder eine andere Krankheit. Krankheit ist Schicksal und niemals Schuld.
Viel wichtiger als zu fragen, ob jemand schuld ist, ist für mich die Frage: Wie gehen wir mit der Krankheit um. Gottes Werke sollen sich an uns zeigen, und wir sollen tun, was Gott von uns will. Statt Vorwürfe zu machen und die Schuldfrage zu diskutieren, ist es wichtiger, finde ich, Menschen zu helfen, ihnen beizustehen und sich um die zu kümmern, die in Not sind.
Corona ist als Schicksal über die Welt gekommen. Wie gehen wir damit um? Ich finde, so wie mit anderen Schicksalsschlägen auch: mit Nächstenliebe und mit Einfühlsamkeit, mit Zusammenhalt und mit Hoffnung.


Steffen Bäcker, Pfarrer der Kirchengemeinden Bad Holzhausen und Börninghausen