Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 18. Juli 2020

Pfarrerin Petra Ottensmeyer, Telefonseelsorge Ostwestfalen

Beim Namen gerufen

„Ich will doch nur, dass man mich sieht. Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“ bricht es aus der Anruferin heraus. Und ich spüre, es trifft sie und macht sie wütend, wie der Kollege sie behandelt.

Ich glaube, jeder kennt das von sich: Wir brauchen es, dass man nicht durch uns durchguckt. Ich brauche es, dass man mich sieht als Person und mich auch so anspricht.
Ich erinnere mich an die Schule, die Woche nach den Sommerferien. Die neuen Lehrer baten uns Namenschilder aufzustellen. In Schönschrift haben wir unsere Namen aufgeschrieben, Frank, Sabine, Tobias, Martina, Petra. Einige Lehrerinnen konnten unsere Namen und Gesichter ganz schnell zuordnen. Aber ein Lehrer hat meine Mitschülerin bis zum Halbjahresende Sabine anstatt Sabrina gerufen. Irgendwann hat sie es aufgegeben, zu sagen wie sie heißt.
Seitdem weiß ich, der Name ist wie der Schlüssel, mit dem ich einem anderen zeige, dass ich ihn sehe und achte. Als eigenen Menschen. Dass ich ihn nicht als Nummer betrachte oder als kleines Teilchen in der großen Masse Mensch.
Ich finde es schön, dass das auch von Gott in der Bibel erzählt wird. „Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen, Du bist mein“, sagt Gott im Alten Testament zu seinem Volk, den Israeliten. Die frühen Christen haben diese Wertschätzung übertragen auf jeden Einzelnen. Die Taufe drückt das aus. Wer getauft worden ist, kann glauben: Gott sieht mich an. Er nimmt mich wahr, kennt mich als unverwechselbare Person. Daran wird morgen in vielen Gottesdiensten erinnert.
Gott sieht und schätzt jeden. Ich glaube, das können wir alle einander zeigen, wenn wir es wollen. Jeden Tag.

Immer wieder passiert es ja. Wenn Menschen andere missachten, dann nehmen sie ihnen zuerst den Namen weg und machen sie entweder zu einer Nummer oder zur Masse. „Die Linken, die Migranten, die „da oben“, die Rechten, die…“ Ich glaube, jeder von uns muss da dagegen halten.
Ein bisschen auf den Anderen, die Andere achten, aufmerksam sein, kann man schon im Berufsverkehr. Die Frau im Auto neben mir hat einen eigenen Namen. Es scheint nur so als wäre sie eine von Vielen im Stau vor der Ampel. Dabei ist sie eine eigene unverwechselbare Person wie Sie und ich.
Eigentlich hätte jeder und jede es verdient, dass wir einander sehen. Gerade im Moment, wo wir Abstand halten müssen und Masken tragen. Genau hinschauen und hinter der Maske die Sorgen und Freude, Angst und Hoffnung wahrnehmen. Und ein freundliches Wort an den anderen richten: „Guten Morgen, Frau Schmidt, Herr Müller.“ Das tut gut.
Dabei ist Gott an Ihrer und meiner Seite: Er hat jeden und jede beim Namen gerufen.


Pfarrerin Petra Ottensmeyer, Telefonseelsorge Ostwestfalen