Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 06. März 2021

Pfarrer Michael Beening

Ich habe ein schönes Hobby: Fotografieren! Manchmal nehme ich meine Kamera mit auf einen Spaziergang und erkunde durch den Sucher aufmerksam meine Umgebung. Dabei entdecke ich manche kleine Wunder, die mir vorher nicht aufgefallen sind und Dinge am Wegrand, die ich ohne meine Spiegelreflexkamera bestimmt übersehen hätte. Natürlich gehört das gute Stück auch auf Urlaubsreisen ins Gepäck, um neben ungezählten Sonnenuntergängen die Schönheiten eines fremden Landes und die gemeinsamen Unternehmungen zu dokumentieren.
Am liebsten aber fotografiere ich in meine Familie: beim Kindergeburtstag, an Heiligabend, ein schöner Sommertag im Garten, der Ausflug in den Zoo oder die Erlebnisse im Freizeitpark. – Digital gespeicherte Erinnerungen, die mir niemand nehmen kann.
Vieles davon wird jährlich zusammengefasst in einem dicken Fotobuch, das zu Weihnachten für meine Lieben unter dem Tannenbaum liegt und das im Laufe der Zeit immer wertvoller wird.
„Weißt du noch…?“ sagen wir dann. „Ach ja, das war toll!“ „Wie niedlich die Kinder damals noch waren!“ „Wo sind die Jahre nur geblieben?“
„Früher war alles besser!“ – So behaupten es manchmal ältere Menschen in der Rückschau auf ihren Lebensweg und wenn sie davon erzählen, dann werden die seltenen Schwarz-Weiß-Fotos auf einmal lebendig: Das Schwere wird ausgeblendet, die Entbehrungen spielen keine Rolle mehr, die harte Arbeit und die Schwielen an den Händen haben den Menschen geadelt und mehrere Generationen im Haus waren keine Belastung, sondern eine Bereicherung. „Die Kirche war damals immer voll! Das Abendmahl wurde nur wenige Male im Jahr gefeiert und war darum etwas Besonderes, auf dessen Empfang man sich vorbereitet und wofür man sich entsprechend gekleidet hat. Der Pfarrer war eine Respektperson und die Mitgliedschaft im Presbyterium eine Ehre. Die kirchlichen Feste prägten wie der Wandel in der Natur den Lebenslauf der Menschen. Sie wurden bewusst gefeiert und nicht durch kluge Brückentagsplanung als zusätzliche Urlaubszeit genutzt. Die Konfirmanden mussten noch ordentlich lernen und ein Klaps auf den Po hat noch keinem Kind geschadet! – Ja, früher war alles besser!“
Jesus lässt uns die Erinnerungen – die gefärbten, die verklärten, die idealisierten – und sagt trotzdem in unserem Wochenspruch: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes!“ (Lukas 9,62) Wer also nur in der Vergangenheit lebt und wessen wahre Schätze die Erinnerungen sind, der verpasst möglicher Weise die Gegenwart oder – noch schlimmer - der verpasst die Zukunft!
Eine Zukunft, die mit Jesu Handeln und Predigen, mit seinem Leiden, Sterben und Auferstehen längst begonnen hat: Gottes Reich im Himmel und auf Erden! Hier und da leuchtet es auf – auch heute noch und an vielen Orten! Wunder über Wunder geschehen! Durch die Linse meiner Kamera sehe ich so viel Erstaunliches und Dankenswertes! Auch Menschen bekomme ich auf diese Weise besser in den Blick, manche davon sogar Boten und Arbeiter am Reich Gottes! – Nicht immer studierte und fachkundige Theologen, sondern oft einfache Menschen mit Schwielen an den Händen und einer schlichten Frömmigkeit, die anrührt und bewegt.
Auch ich schaue gerne zurück und erinnere mich, aber der Junge mit den kurzen Hosen, der dicken Hornbrille und den gestrickten Strümpfen bin ich nicht mehr. Mit meinem Heranwachsen hat sich auch mein Glaube verändert, hat Narben bekommen, Dürrezeiten, Zweifel erlebt und trotzdem immer wieder wunderbar getragen! – Paulus schreibt: „Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war.“ – Der Blick durch meine Kamera zeigt mir das Hier und Heute! Jetzt lebe ich, jetzt staune ich, jetzt klage ich, jetzt danke ich und jetzt kann mein Glaube sich bewähren! – Denn: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes!“


Pfarrer Michael Beening