Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 05. Mai 2019

Pastor Rainer Rohrbeck

Mit den Füßen auf der Erde und dem Kopf im Himmel

So könnte ich beschreiben, wie ich als Kind gelernt habe, was es heißt, als Christ zu leben: Die Tage der Erwachsenen waren geprägt von harter Arbeit in der Landwirtschaft und in der Werkstatt. Zugleich gab es daneben einen wunderbar offenen Raum der Freiheit von allem, was einem selbst das Leben gerade schwer machte. Da war die Gewissheit: Da gibt es noch mehr als uns selbst und die uns wahrnehmbare Welt. Das drückte sich aus in den Liedern, die wir auch mitten am Tage – manchmal bei der Arbeit - sangen: „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottesgüt!“ und in den Gebeten, die den Blick weiteten auf die anderen in Dorf und Familie, die es gerade besonders schwer hatten. Beschreibe ich da eine weltfremde Idylle? Verkläre ich hier die „guten alten Zeiten“? Dafür kann ich mich zu gut erinnern. Oder ist es eine heilsame Erinnerung an etwas, was unserer Gesellschaft verloren zu gehen droht – das Gefühl der Verbundenheit mit allen Mitgeschöpfen?

Neulich wurde ein guter Freund als „Gutmensch“ bespöttelt, weil er sich einsetzt für ein besseres Miteinander und für Flüchtlinge in der Stadt. Ich selber werde immer mal wieder als „klimabewegt“ belächelt. „Gutmenschen“ gelten als naiv, so als sähen sie nicht, wie die Welt wirklich ist und funktioniert. Sie sähen nicht die sogenannten „Sachzwänge“, stünden also nicht mit beiden Beinen auf der Erde, wird unterstellt. Vielleicht ist es ja genau umgekehrt: Vielleicht sind ja die naiv, die meinen, die Welt ist eben so wie sie ist, sozusagen „alternativlos“. Zum permanenten Wachstum gebe es keine Alternative. Der Mensch sei Egoist und immer nur auf seinen persönlichen Vorteil aus. Kein Wunder, denke ich, dass in einem solchen Klima auch die professionellen „Gutmenschen“ wie z.B. Rettungskräfte beschimpft werden. Kein Wunder, dass auch Christen und Kirchen zurzeit attackiert werden wie lange nicht. (Keine Frage , dass es da manches zu kritisieren gibt!) Manchmal habe ich den Eindruck, da steckt eine Absicht dahinter: Will man sich Leute vom Halse halten und klein machen, die daran erinnern, dass es noch anderes gibt, als zu konsumieren, was das Zeug hält (Wachstum!) und das Leben zu genießen, komme was da wolle? Wird Religion vielleicht auch deshalb so kritisch gesehen, weil sie daran erinnert, dass da auch Ansprüche an mich und mein Tun gestellt werden? Wenn klar ist, dass diese Erde nicht uns gehört, kann ich nicht länger auf Kosten der nächsten Generationen und dem Rest der Welt leben! Wenn die anderen wie ich Gottes Kinder und also meine Brüder und Schwestern sind, kann es mir nicht egal sein, wenn sie im Mittelmeer ertrinken oder hungern, weil auf ihren Feldern Avocados oder Erdbeeren für uns angebaut werden!

Das habe ich als Kind gelernt: Ich bin ein Gast auf Erden und deshalb benehme ich wie ein guter Gast: Ich mach nichts kaputt und gehe pfleglich mit meiner Welt und mit den anderen Gästen um – da bin ich „bekennender Gutmensch“! Ich stehe mit beiden Füßen fest auf der Erde und versuche zugleich mit den Möglichkeiten des Himmels oder Gottes zu rechnen. So sehe ich durchaus Alternativen zur Welt wie sie ist und kann mir vorstellen, wie manches anders und besser sein könnte. Der Ausblick auf den „Himmel“ schenkt die wunderbare Freiheit, das auch anzusprechen - und dafür lasse ich mich auch gerne als „Gutmensch“ bespötteln. Mal ganz abgesehen davon, dass ich den Eindruck habe, ich bin längst nicht so „gut“ wie ich sein sollte - da ist noch viel Luft nach oben. Aber der Himmel ist ja auch noch nicht da.


Rainer Rohrbeck, Pastor in Wehe