Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 03. Juli 2021

Pfarrer Michael Beening aus Dielingen

Sie häufen sich in den letzten Wochen und Monaten: die Wolfssichtungen! Als am 8. April ein Video auftauchte, in dem zwei Wölfe zu sehen waren, die angeblich in der Kiesgrube zwischen Hunteburg und Damme spazieren gingen, teilte ein Jagdpächter aus Heithöfen diesen Film in sozialen Netzwerken mit den Worten: „Die Wölfe kommen näher…!“ - Angst macht sich breit vor dem stolzen Wildtier, das spätestens seit den Märchen der Gebrüder Grimm seinen schlechten Ruf nicht mehr los wird.

Hatte einer aus dieser Spezies doch die Großmutter gefressen und sich als Nachspeise das zarte Rotkäppchen schmecken lassen! Bei einem anderen standen sechs kleine Geißlein auf der Speisekarte und nur das Jüngste war ihm entkommen. - Dabei hatte die Mutter sie noch gewarnt: „Liebe Kinder, nehmt euch in Acht vor dem Wolf! Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.“ - Aber schwarze Pfoten kann man weiß färben und raue Stimmen verstellen. Dann ist die Täuschung kein Problem!

Und doch ist kein Wolf – weder der in der freien Wildbahn noch der im Märchen – so grausam, gierig und durchtrieben wie jene Wölfe, die sich in der Menschenwelt hinter weißen Westen und sauberen Händen, an denen kein Geld kleben bleibt, verstecken. Mit ihren sanften Stimmen verführen sie viele und haben dabei nur ihren Gewinn oder ihre Macht im Sinn. Hinter überkommenen Strukturen geschützt nehmen sie ihre Beute ins Visier und machen sich selber unangreifbar. Sie tarnen sich als Wohltäter der Menschheit, verschanzen sich hinter ihren Jobs in der Chefetage oder wähnen sich als Politiker sicher vor Strafverfolgung. Sie lügen geschickt. Manche ihrer Titel sind gefälscht. Sie begehen Unrecht und können sich sicher sein, dass sie vom Rudel der Gleichgesinnten geschützt werden! Und sollte ihr gewissenloses Tun doch aufgedeckt werden, dann können sie sich plötzlich an nichts mehr erinnern.

Nein, die Wölfe kommen nicht näher! Sie sind schon da! Sie waren immer schon da! Aber ihre Zahl wächst! Denn es ist allemal leichter, ein Wolf zu sein als ein Schaf!
Wo aber ist Hilfe? Wer täuscht nicht? Wer handelt nicht aus Eigennutz, sondern aus Liebe? Wessen Worte sind wahrhaftig? Wer gewährt uns Zuflucht und Schutz, wenn die Wölfe uns ins Visier genommen haben? – Theoretisch wissen Christen um die Wahrheit dessen, was König David bekennt: „Der Herr ist mein Hirte…“ (Psalm 23,1) – Praktisch aber scheint das kaum noch eine Rolle zu spielen: Orte, wo vom guten Hirten die Rede ist, werden immer seltener aufgesucht. Gemeinschaften, die sich vom guten Hirten getragen wissen, leiden unter Mitgliederschwund! Kirchengemeinden müssen auf ihre Wirtschaftlichkeit schauen und schließen sich zu immer größeren und damit auch anonymeren Einheiten zusammen.

Doch wo sind die Hirten? Wer hat noch den Mut, offen vor den Wölfen zu warnen und sie sogar beim Namen zu nennen? In wessen Namen und mit wessen Vollmacht können wir uns gegen die zunehmenden Wolfsrisse wehren?

Vor allem aber: wo kommt der Eine noch vor in unserem Leben, der sich selber als der gute Hirte bezeichnet hat: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ (Johannes 10,11)? – Der kennt die Wölfe, der kennt die Hirten unserer Zeit und sein Versprechen gilt immer noch: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ (Johannes 10,27) – Die Tür zu seinem Stall steht immer offen und bei ihm muss der Wolf draußen bleiben!

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Pfarrer Michael Beening