Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 02. Februar 2019

Dr. Sebastian Kuhlmann

Ich habe ein neues Lieblings-Wort gelernt: Retrorevision. Es stand in einem kurzen, harmlos aussehenden Brief meines Arbeitgebers, der Kirche. Die schickt mich in den Keller, aufräumen. Das liegt ja durchaus im Trend. Heilsversprechen, die einmal Markenkern und Monopol der Religion waren, landen nun in anderen Bereichen. Momentan ganz heiß: Bude ordentlich halten. Die Titel der Aufräum-Päpstin Marie Kondo weisen den Weg: „Magic cleaning: Wie richtiges Aufräumen ihr Leben verändert.“ „Über das Glück des Aufräumens“ „Wie Wohnung und Seele aufgeräumt bleiben.“ Wow. Wenn die Retrorevision mich in den Keller schickt, ist das wohl ein Fall von Seelsorge an Seelsorgern. Die kümmern sich!

Was die Kirche von mir haben möchte? Eine Kopie meines Studienbuchs (das Marie Kondo längst weggeschmissen hätte), um zu belegen, dass ich damals Sprachkurse in Altgriechisch und Althebräisch besucht habe. Wohlgemerkt nicht die Abschlusszeugnisse, sondern die Uni-internen Laufzettel, wann was belegt wurde. Das ist ein bisschen her – ich konnte damals für 25,56 Euro volltanken. Oder präziser noch und in Retro-Sprech: für 50 Mark.
Jetzt beschert mir die kirchliche Retrorevision also einen Vormittag im Keller, Kartons durchwühlen. Und zwischen all den Spinnweben und dem Zivilisationsschrott, der sich im Laufe eines Lebens nun mal ansammelt, denke ich, dass es auch im Glauben ein schmaler Grat ist, wann Retrorevision und wann Kondo weiterhelfen. Auch im Glauben gibt es Verschüttetes, Vergessenes, Archiviertes, das plötzlich und unerwartet hilfreich, ja sogar absolut notwendig sein kann. Und es gibt Überholtes, Ballast, Müll. Leider ist selten klar, was was ist.

Die Frage stellt sich für Glaubensinhalte jedes einzelnen Menschen, aber auch für die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche, und das, was sie tut. Besonders spannend finde ich die Frage – und ich habe keine vorgefertigte Antwort darauf -, was den allsonntäglichen, ganz normalen Gottesdienst angeht. Nicht als ganzes, denn es ist gut und wichtig, dass Glaube in einer Form von Gemeinschaft gelebt und geteilt wird. Aber was die einzelnen Bestandteile angeht, ist glaube ich nicht immer allen klar, wozu das gut sein soll und was man (noch) damit anfangen kann. Vielleicht haben Sie ja Lust, mal vorbeizukommen – und ein paar Aufräumvorschläge zu machen. Die ließen sich sammeln und in aller Ruhe darüber reden. Keine Hektik: Nicht jeder hat es so eilig wie die Retrorevision aus meinem Brief: Die brauchen meine Unterlagen aus dem letzten Jahrtausend – Zitat – „kurzfristig“ zurück.


Pfarrer Dr. Sebastian Kuhlmann. Er unterstützt den Kirchenkreis in drei Aufgabengebieten. Mit einem Anteil ist er für Vertretungsaufgaben zuständig, dann ist er am Berufskolleg und unterstützt Pfarrerin Barbara Fischer, die als Assessorin Aufgaben im Kirchenkreis übernommen hat.