Vorfreude

Vorfreude

Bibelgeschichten-Erzählvormittag im Kindergarten – der letzte in diesem Jahr, denn es ist ja schon Dezember und wir sind mitten im Advent. Weil aber Advent noch nicht Weihnachten ist, erzähle ich diesmal eine Geschichte über die Vorfreude und besuche mit den Kindern Elisabeth, die im hohen Alter ihr erstes Kind gebären soll, einen kräftigen Jungen, der einmal als Johannes der Täufer bekannt wird und der schon im Mutterleib vor lauter Freude gehüpft sein soll, weil bald der Messias geboren wird – an Weihnachten!
Vorfreude ist bekanntlich die beste Freude! Das ganz Besondere ist noch nicht da, aber es ist nah! Das Fest kann noch nicht gefeiert werden, aber die Feier wird schon vorbereitet! Die Gäste sind noch nicht erschienen, aber das Festessen wird schon geplant! Die Geschenke werden noch nicht ausgepackt, aber jetzt werden sie eingepackt – voller Vorfreude auf die Bescherung!
Während ich das so erzähle, frage ich mich, was eigentlich aus meiner Vorfreude geworden ist: hat sie der Wind davon geweht oder ist sie unter der Last des Lebens begraben oder war sie nur ein Teil meiner Kindheit, das in der Erwachsenenwelt keinen Platz mehr findet?
Ende! Auch das ist wieder geschafft! Schön war es, aber auch anstrengender als sonst. Doch beim gemeinsamen Schlusslied von Rolf Zuckowski haben alle Kinder kräftig mitgesungen: „Bald kommt das Christkind zu mir – bald, bald, bald! Bald steht es vor meiner Tür – bald, bald, bald! Bald ist das Warten vorbei und das Fest beginnt! Und dann sagt mir keiner mehr: ‚Geduld, Geduld mein Kind!“
Ich ziehe meine Jacke an, gleich muss ich den von Plätzchenduft, Tannenzweigen und Vorfreude erfüllten Kindergarten wieder verlassen, um durch das nasskalte Dezemberwetter anderen Aufgaben nachzugehen, da zupft mich plötzlich jemand an meiner Jacke. – Es ist ein fünfjähriger Junge – einer, der bisher bei jeder Geschichte gestört hat. Der überreicht mir mit leuchtenden Augen ein Bild und sagt ernst: „Damit du dich auch mal wieder freuen kannst!“ – „Toll“, sage ich, „hast Du das ganz alleine gemacht?“ Und fast hätte ich noch die Erwachsenenfrage hinzu gefügt, die Kinder nicht verstehen können: „Womit habe ich das denn überhaupt verdient?“ – Aber da ist der Junge schon auf dem Weg in seine Gruppe und ich stehe allein auf dem Flur mit meinen Fragen und mit meinem Bild. Ein paar bunte Striche waagerecht, ein paar bunte Striche senkrecht und in der Mitte ein Kreis. Das ist alles! – Keine hohe Kunst – oder doch? Was, wenn der Kreis in der Mitte ein Gesicht wäre! Und was, wenn dieses Gesicht mir zuflüstern würde: „Bald, bald, bald… - Das habe ich ganz allein gemacht und Du hast es überhaupt nicht verdient! Deshalb schenke ich es Dir. Damit Du Dich auch mal wieder freuen kannst!“
„Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr…“ – Ich freue mich jetzt schon darauf! Denn Vorfreude ist bekanntlich die beste Freude – nicht nur im Advent!

Information zu meiner Person: Michael Beening, 56 Jahre, verheiratet mit Elke, geb. Kleine-Heitmeyer, drei Kinder – Benjamin (20 Jahre), Jonathan (18 Jahre), Sarah (10 Jahre).
Seit Januar 1994 Pfarrer im ersten Pfarrbezirk der Kirchengemeinde Dielingen.