Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Weihnachten überregional

Weihnachten 2010
Immer mehr

CARSTEN HEIL

Das Weihnachtsgeschäft ist für Industrie und Handel super gelaufen. Die Menschen haben in der zurückliegenden Adventszeit die in winterliches Weiß gehüllten Innenstädte gestürmt, für sich und die Lieben gekauft, wonach ihnen der Sinn stand – oder was der Geldbeutel zuließ. Vor Jahresfrist barmten alle angesichts einer schweren Wirtschaftskrise, fürchteten um den Arbeitsplatz, sorgten sich nach dem gescheiterten Klimagipfel von Kopenhagen um die Umwelt und blickten rundum sorgenvoll ins neue Jahr. Die Krisen sind dann aus vielen Gründen vorerst nicht so schlimm geworden wie befürchtet. Wie befreit leben die Konsumenten auf.

Daraus können die Deutschen lernen und begründete Zuversicht schöpfen. Wer bereit ist zu Verzicht im richtigen Augenblick und zu Leistung, wer zusammenhält und anpackt und dazu noch ein wenig Glück hat, kann sich aus schwieriger Lage befreien, der hat es verdient, es sich gut gehen zu lassen. Das ist nur die eine Seite.

Mit der allein sollte sich niemand zufrieden geben: Neue internationale Langzeituntersuchungen belegen, dass Wohlstand nicht automatisch zu mehr Lebenszufriedenheit bei den Menschen führt. Mehr Geld und Luxusgüter heben nur kurzfristig die Zufriedenheit, vorausgesetzt, die Grundbedürfnisse werden gestillt. Lebenszufriedenheit wächst nirgendwo auf der Erde mit der Wirtschaft. Soziologen führen das darauf zurück, dass Besitz und Geld kein absoluter Wert sind, sondern immer nur im Vergleich mit dem Haben anderer zu Zufriedenheit oder eben Unzufriedenheit führen. Und es finden sich immer Menschen, die mehr besitzen.

Außerdem wachsen nachweislich und mühelos die materiellen Wünsche mit dem Einkommen. Ein Rennen, dass der Mensch nicht gewinnen und das zu Unzufriedenheit führen kann. Kann, nicht muss.

Diese Erkenntnis legt auf der anderen Seite den Schluss nahe, dass Gesellschaften mit sozialer Ausgewogenheit eine höhere Lebensqualität für alle bieten als die mit großem Wohlstandsgefälle. An dieser Stelle ist Deutschland in der Gefahr, das Maß und damit die leistungsfähige Mitte zu verlieren. Denn nach oben und unten koppeln sich im gesellschaftlichen Spektrum ganze Gruppen ab.

Die Reichen fühlen sich zunehmend weniger verantwortlich für „die da unten“, ohne dabei zufriedener zu werden, wie sich in der Bankenkrise zeigt. Die Armen, die in den vergangenen Wochen nicht die Fußgängerzonen bevölkerten, erklären „die da oben“ für ihr Schicksal zuständig und kümmern sich zunehmend weniger um sich und ihre Zukunft. Auch darum kreisten die Debatten in den vergangenen Monaten.

Dabei geht der Zusammenhalt verloren. Der jedoch half nachhaltig mit, die jüngste Krise zu überwinden. Das ist zu bedenken bei der Debatte um zunehmenden Individualismus und Gruppenegoismus. Die ist keine weiche Frage, die nur im Sozialen bleibt. Wie eine Gesellschaft im Innersten aufgestellt ist und zusammenhält, ist auch eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens.

carsten.heil@

ihr-kommentar.de

„Wir müssen mehr von Jesus Christus reden“
INTERVIEW: Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider über die Zukunft der Kirche, den Glauben und die Chancen unserer Gesellschaft



Herr Schneider, Sie haben ein turbulentes Jahr hinter sich wie die evangelische Kirche insgesamt. Wie haben Sie das erlebt?

NIKOLAUS SCHNEIDER: Gemischt. Wenn Sie auf die Rücktritte anspielen, dann hat das zu keinerlei Krise in der EKD geführt. Denn wir haben ein kollegiales Leitungsorgan, den Rat. Ich war Vertreter und war von Margot Käßmann gut einbezogen worden, so dass ich zwei Tage nach ihrem Rücktritt eine Ratssitzung leiten konnte. Was wirklich schlimm war, das waren die Dinge, die am runden Tisch zum Thema Heimkinder und am runden Tisch zum Thema sexuelle Gewalt ans Tageslicht kamen. Das war und ist furchtbar, und das erlebe ich als eine Krise.

Hat dies auch die Institution Kirche infrage gestellt?

SCHNEIDER: Es war mit einem Vertrauensverlust verbunden für die Institution. Innerkirchlich würde ich nicht von Erschütterungen sprechen; wir waren persönlich erschüttert darüber, dass das alles passieren konnte. Aber wir waren uns alle absolut einig, wie wir damit umgehen: nämlich offen, nichts unter den Teppich kehren, an den Opfern orientiert, damit sie so schnell wie möglich Hilfe bekommen können. Wir sind zu einem offenen Auftreten gegenüber der Öffentlichkeit bereit. Kooperationen mit der Justiz da, wo Juristisches aufzuarbeiten ist, muss es ebenfalls geben.

Hat Sie das Thema persönlich bewegt?

SCHNEIDER: Ja, natürlich. Aber ich will auch offen sagen: Es hat mich nicht so sehr überrascht. Ich war ja auch einige Zeit Personaldezernent unserer Kirche. Da lernt man auch die Schattenseiten kennen. Und man spürt, Pfarrerinnen und Pfarrer sind Menschen, die versagen können. Und: Wir haben auch Menschen im Amt, die in einem anderen Beruf sicher sinnvoller aufgehoben wären.

Sind Sie mit den Ergebnissen des runden Tisches zufrieden? Wie geht man weiter mit den Heimkindern um?

SCHNEIDER: Ich glaube, dieses Ergebnis beschreibt das, was möglich ist. Es war gut, dass alle, die am runden Tisch saßen, dem Ergebnis zugestimmt haben, auch die Vertreter der Heimkinder. Das zeigt, dass dort auch Vertrauen gewachsen ist. Es zeigt auch, welch große Leistung Antje Vollmer vollbracht hat, indem sie diesen runden Tisch zusammengehalten hat. Ich hoffe, dass wir diese Ergebnisse nun so schnell wie möglich umsetzen können. Ich habe selber zweimal mit Vertretern der Heimkinder das vertrauliche Gespräch gesucht und ihre Lebensgeschichten gehört. Das ging für mich an die Grenze dessen, was auch ich ertragen konnte.

Sie sagten, es gebe auch Pfarrer, die besser nicht in diesen Beruf gegangen wären. Wie gehen Sie denn mit diesem Thema um?

SCHNEIDER: Wir gehen mit diesem Thema mit der gesamten Bandbreite unserer Möglichkeiten um. Es ist auch vorgekommen, dass Pfarrer aus dem Dienst entlassen wurden. Da ziehen wir unsere Konsequenzen.

Wir sind jetzt beim wichtigen Thema Außendarstellung der Kirche. Frau Käßmann war in der Öffentlichkeit die Strahlefrau und war in vielen Talkshows. Wie sehen Sie Ihre eigene Rolle?

SCHNEIDER: Ich bin halt anders und nehme diese Aufgabe nun mit meinen Möglichkeiten wahr – und so, wie ich bin. Das allerdings mit der gleichen Bereitschaft, offen und unverstellt mit den Menschen, den Medien und der Öffentlichkeit umzugehen. Bei uns leitenden Geistlichen geht es doch nicht darum, uns selber darzustellen. Sondern es geht darum, das, wofür die Kirche da ist, unter die Leute zu bringen. Wir müssen von Jesus Christus reden und das Evangelium verbreiten. Wir müssen so von Gott reden, dass Menschen sich diesem Gott anvertrauen. Darum geht es.

Welche Themen stehen für Sie als EKD-Ratsvorsitzenden ganz oben auf der Agenda?

SCHNEIDER: Thema Nummer eins ist eben die Rede von Gott. Punkt zwei ist die Tatseite des Glaubens: Wie leben wir unseren Glauben überzeugend in Diakonie, Kultur oder Bildung? Dritter Punkt ist, im Gespräch mit der Politik unsere Anliegen einzubringen. Da geht es um Themen wie Menschenwürde, Krieg und Frieden oder die Bewahrung der Schöpfung. Ganz wichtig ist auch die Ökumene.

Wie wollen Sie diese Herausforderungen meistern angesichts knapperer Budgets und einer zurückgehenden Zahl der Kirchenmitglieder?

SCHNEIDER: Es kommt in der Kirche ganz wesentlich auf die Menschen an. Wir brauchen Menschen, die von ihrem Glauben erzählen. Da gibt es in unserer Kirche noch ganz viele. Wir haben zum Beispiel gut 9.000 Presbyterinnen und Presbyter in der rheinischen Kirche, die das tun, und 116.000 Ehrenamtliche. Wir sind nach wie vor gut ausgestattet. Die Frage ist eine andere: Wie sprachfähig sind wir?

Woran macht sich das fest?

SCHNEIDER: Wie weit können Presbyterinnen und Presbyter ihren Glauben erklären? Das dürfen nicht nur die dafür Zuständigen tun wie die Pfarrer. Fortbildung für Presbyter heißt nicht nur: Wie lese ich ein Haushaltsbuch? Sondern: Wie rede ich über den Glauben, um den es in dieser Gemeinde geht.

Sind nicht manche Pfarrer zu verzagt in der Ausübung ihres Amtes? Die Kirche scheint keine Wärmestube mehr zu sein.

SCHNEIDER: Meine Generation konnte sich die Stellen noch aussuchen, da konnte man meinen, die Kirche sei eine Wärmestube. Das ist in den Generationen danach schon anders geworden. Wer da Pfarrer wurde, musste sich mit bis zu 90 anderen Kandidaten um eine Pfarrstelle bewerben. Da war nichts mehr sicher wie in einer Wärmestube, die Stelle keineswegs garantiert. Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer sind in den letzten Jahren immer mehr belastet worden. Wir taufen sehr viel weniger Menschen, als wir beerdigen. Man hat ständig mit der Frage zu tun: Was können wir aufrechterhalten? Unsere Zeit wird herausfordernder. Christinnen und Christen nehmen nicht alles so hin. Jemand ist nicht automatisch deshalb akzeptiert, weil er Pfarrer ist. Das Amt wird manchmal als etwas verstaubt angesehen; der Pfarrer gibt dem Amt Glanz durch die Art und Weise, mit der er es trägt. Und es gibt wieder einen Atheismus, der sich deutlicher artikuliert und aggressiver wird.

Sie sprachen vom Dialog mit der Politik. Es gibt nicht wenige, die eine Krise des politischen Systems in Deutschland sehen. Was bedeutet das für Sie?

SCHNEIDER: Die Kirchen sind keine politischen Parteien. Wir wollen keine Politik machen, sondern Politik möglich machen. Das heißt, wir beteiligen uns mit Argumenten am öffentlichen Diskurs ohne den Anspruch auf politische Macht. Aber die Politik hat sozusagen einen Auftrag auch von Gott. Wir wünschen uns natürlich, dass es den Parteien gelingt zu integrieren. Es war eine Stärke der Volksparteien, dass es ihnen gelungen ist, unterschiedliche soziale Schichten und in einer großen Bandbreite politische Meinungen zusammenzuhalten und daraus ein stabiles Regieren zu ermöglichen. Heute haben wir ein Fünf-Parteien-System, da wird es schwieriger, aber auch spannender. Wir sehen doch an der Minderheitsregierung in NRW: Die kriegen das erstaunlich gut hin. Wir begleiten, machen Mut und sagen bei bestimmten Themen auch unsere Meinung.

Wie sieht das bei dem Thema Afghanistan aus?

SCHNEIDER: Wir sehen hier die Grenzen des Militärischen. Die Welt regiert man nicht mit Militär – und die Militärs sagen das auch selber. Das bedeutet: Afghanistan kann nicht durch militärische Macht und militärische Gewalt geregelt werden. Militärische Gewalt darf nur im äußersten Notfall angewendet werden. Das gilt für schwerste Menschenrechtsverletzungen oder einen völligen Zerfall des Rechtssystems. Das Militär soll dann helfen, Rechtsstaatlichkeit wieder aufzurichten. Da gab es in Afghanistan deutliche Gründe, die das rechtfertigen.

Wo ist dann das Problem?

SCHNEIDER: Wir sagen, die sogenannten Kollateralschäden dürfen nicht schlimmer sein als die unmittelbar militärischen. Stimmt das noch in Afghanistan? Wir sagen, wer reingeht, muss eine Exit-Strategie haben. Hatten wir die? Das stellt den Einsatz infrage. Nach zehn Jahren in diesem Land müssen wir alles tun, damit wir nicht zu Besatzern werden. Das heißt: Jetzt muss die erste Aufgabe sein, den Übergabeprozess an die Autoritäten im Land zu organisieren. Und das muss man auch spüren.

Wo verorten Sie die deutsche Gesellschaft am Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts? Wo kann Kirche Einfluss nehmen?

SCHNEIDER: Die deutsche Gesellschaft ist in einem großen Veränderungsprozess mit ganz vielen Dimensionen: wirtschaftlich, politisch und kulturell. Es ist nicht ausgemacht, dass dieser Prozess gut ausgeht. Ausbeutung ist auf dem Vormarsch. Unsere Gesellschaft ist in einem Prozess des Auseinanderdriftens, den wir noch nicht gestoppt haben. Ich habe die Sorge, dass das auch so weitergeht. Andererseits: Ohne eine stabile Wirtschaft kann kein Mensch leben. Und wir sind gesegnet mit Menschen, die in der Wirtschaft ein hohes ethisches Bewusstsein haben.

Und wie sieht es mit den Banken aus?

SCHNEIDER: Die Finanzwirtschaft muss man kritischer sehen. Das Investmentbanking ist maßlos. Ich sehe noch nicht, dass es uns gelingt, das wieder einzufangen. Das ist eine der größten Bedrohungen für unser Wirtschaften und das gesellschaftliche Zusammenleben. Hier muss eine Brandmauer eingezogen werden, auch gesetzlich.

Etwas in Vergessenheit geraten ist die deutsche Einheit.

SCHNEIDER: Die deutsche Einigung ist noch nicht erreicht, wir sind noch im Prozess des Zusammenwachsens. Wir brauchen eine Generation, um uns vom Alten zu lösen und uns auf das Neue vorzubereiten. Und dann sind wir erst am Anfang des Neuen. Und so ist es auch mit der deutschen Vereinigung. Aber wir kommen gut voran, etwa bei der Infrastruktur oder der Solidarität. Aber es kann nicht sein, dass Pleitekommunen wie Duisburg oder Wuppertal auch einen Soli-Beitrag zahlen, den sie als Kredit bei der Bank aufnehmen müssen. Dann haben wir das Thema Europa. Das ist ein Schicksalsthema für uns. Die Bewahrung unserer Werte des Wirtschaftens wird nur gelingen, wenn es gelingt, Europa politisch und wirtschaftspolitisch so zusammenzuführen, dass Europa eine handlungsfähige Macht darstellt.

Gehört die Türkei auch zur Europäischen Gemeinschaft?

SCHNEIDER: Das ist noch nicht entschieden. Die Tür soll nicht zu sein, aber es kommt drauf an, wie sich die Türkei weiterhin entwickelt. Hier kann es keine Extrastandards geben bei Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und vor allen Dingen Religionsfreiheit. Es spricht einiges dafür, von einer privilegierten Partnerschaft auszugehen. Ich bin für Vorsicht und einen langsamen Prozess, denn hier kommen recht unterschiedliche Kulturen zusammen. Unser Land hat eine Prägung durch den christlichen Glauben. Muslime leben seit 40 Jahren in Deutschland. Aber der Islam als Theologie ist noch nicht da. Wir brauchen einen akademischen Islam im Land. Ich bin froh, dass wir solche Lehrstühle langsam einrichten. Am besten ist, das erwächst aus den Muslimen, die auch im Land leben.

Wie feiert denn der Präses selbst Weihnachten?

SCHNEIDER: Ich freue mich darauf, dass meine Töchter und meine Enkelkinder im Hause sind und für ein ganz anderes Leben sorgen werden. Das heißt, wir feiern Weihnachten in der großen Familie. Ich bin auch ein Familienmensch und freue mich sehr darauf.

Der rheinische Präses Nikolaus Schneider ist seit dem 9. November Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Mit ihm sprachen die Redakteure Carsten Heil und Matthias Bungeroth.
Die Vita

¥ Nikolaus Schneider wurde am 3. September 1947 in Duisburg geboren. Nach dem Theologiestudium wurde er 1976 ordiniert. Von 1977 bis 1984 war der Sohn eines Hochofenarbeiters Pfarrer in Rheinhausen, dann Superintendent des Kirchenkreises Moers. 1997 wurde er Vize, 2003 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Schneider ist verheiratet und Vater dreier Töchter. Seine jüngste Tochter Maike starb 2005 an Leukämie. (bth)


»Kirche braucht Erneuerung«
Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, im großen Weihnachtsinterview

Von Thomas Hochstätter
und Ulrich Windolph
München (WB). Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken (ZdK), hat seine Kirche zu einer Erneuerung aufgefordert. Im WESTFALEN-BLATT-Interview sagte Glück mit Bezug auf den Missbrauchsskandal: »Wir können nicht einfach abwarten, bis sich die Aufregung gelegt hat.«ZdK-Präsident Alois Glück: »Aus dem Glauben wird viel Gutes geleistet.«

Glück kritisierte, dass die Katholische Kirche in der Vergangenheit zu sehr eine geschlossene Gesellschaft geworden sei. »Tradition ist ganz wichtig, aber wenn sie zu stark dominiert, kann sie zu Erstarrung führen.« So habe es ihn in den vergangenen Monaten erschreckt, »wie viele verletzte, enttäuschte, frustrierte Laien und Priester ich in unserer Kirche erlebe, die gar nicht mehr zu hoffen wagen, dass sich wirklich etwas Wesentliches verändert.«
Der ZdK-Präsident sagte weiter, die zahlreichen in diesem Jahr bekannt gewordenen Fälle von Missbrauch seien eine »schlimme Wirklichkeit, aber nicht die einzige Wirklichkeit der Kirche«. Es sei wichtig, dass »diese Schockerfahrungen nicht den Blick auf das Gute innerhalb der Kirche verstellen, sonst hätten wir am Ende ein reines Zerrbild«. Aus dem Glauben werde viel Gutes geleistet, sagte Glück und verwies auf den vielfältigen Einsatz kirchlicher Einrichtungen im sozialen Bereich.
Die Erfahrung mit dem Missbrauchsskandal habe letztlich sehr positive Entwicklungen in der Kirche ausgelöst. Der Blick habe sich verändert: »Jetzt stehen die Opfer im Mittelpunkt und nicht der falsch verstandene Schutz der Institution Kirche.« Daraus könnten positive Impulse für die Zukunft erwachsen. Glück gestand allerdings auch zu, dass die Katholische Kirche »ohne öffentlichen Druck zu dieser Selbstreinigung nicht fähig gewesen wäre«.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch, sieht die Katholische Kirche sogar bereits von Altlasten befreit. Die Kirche habe durch die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals zu einer neuen Dialogkultur gefunden. Diese Offenheit werde die nächsten Jahre prägen. »Mein Eindruck ist, dass Kirche nun offener und realitätsbezogener ist«, sagte Zollitsch. Als Beispiele nannte er den Umgang mit Fragen der Sexualität, mit Versagen in den eigenen Reihen sowie mit Verbesserungen in der Priesterausbildung.
Auch Glück betonte, dass inzwischen eine Bereitschaft entstanden sei, sich auch mit anderen Themen auseinanderzusetzen, die Jahrzehnte tabuisiert worden seien, beispielsweise der Frage des Frauendiakonats. Glück sagte, er habe keinen Zweifel daran, dass »unsere Kirche auf Dauer keine gute Zukunft haben kann, wenn wir den Frauen nicht mehr tragende Rollen geben«.
Glück verlangt von seiner Kirche einen neuen Aufbruch - nicht nur, aber gerade zu Weihnachten. »Die Frage dabei ist, wie es uns gelingt, die Botschaft des Evangeliums, die Botschaft Gottes, der sich uns über seinen Sohn unmittelbar mitgeteilt hat, den Menschen in der heutigen Zeit zugänglich zu machen«, sagte Glück. Alles andere komme einer Resignation und einem Verrat am missionarischen Auftrag gleich.
Insgesamt sieht der ZdK-Präsident die Gesellschaft am Scheideweg: »Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig.« Das größte Problem der Gegenwart allerdings sei der Vertrauensverlust, der nicht nur die Kirche betreffe. »Das ist eine Krankheit unserer Zeit, die uns zu blockieren beginnt. Wir brauchen einen inneren Kompass der Werte.« Für Glück ist es dabei nicht so, dass christliche Werte kein Gehör finden würden. »Uns fehlen Menschen, die mit christlicher Überzeugung und Kompetenz in unsere offene Gesellschaft hineingehen.«
WB Artikel vom 24.12.2010