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Lübbecke(WB). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat das Themenjahr »Reformation und Politik« ausgerufen – gehört hat man davon bisher nicht viel. Die evangelischen Kirchengemeinden der Region Lübbecke wollten sich am Reformationstag explizit mit diesem Thema auseinandersetzen und luden zur prominent besetzten Podiumsdiskussion ins Thomas-Gemeindehaus.
Vier Politiker aus allen Ebenen der Politik debattierten: Kai Abruszat (FDP-Landtagsabgeordneter), Micha Heitkamp (SPD-Kreisverband), Steffen Kampeter (CDU-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium) und Thorsten Maruschke (Landesarbeitsgemeinschaft Christinnen Bündnis 90/Die Grünen). Moderiert wurde die Diskussion vom Journalisten Jörg Brökel.
Hat die evangelische Kirche vielleicht ein grundsätzliches Problem, die Errungenschaften der Reformation im Bewusstsein der Öffentlichkeit wachzuhalten? Zugespitzt formuliert: »Ist der 31. Oktober nur noch das lustige Kürbisfest Halloween oder immer noch Reformationstag?« Das war eine der Fragen, die Jörg Brökel den vier Diskutanten stellte. Die waren sich – allesamt bekennende Christen – einig: Reformationstag, natürlich. Gleichzeitig gab Kai Abruszat zu: »Es ist für mich schon befremdlich, dass viele Kinder heute nur noch Halloween kennen.« Offenbar sei die Reformation für die Deutschen inzwischen so selbstverständlich geworden, dass niemand mehr einen Gedanken daran verschwende. »Vielleicht ist es Zeit, das Thema offensiver anzugehen.«
Auch Steffen Kampeter stellte fest, dass Kirche zunehmend auf das Thema Caritas und Diakonie reduziert werde und theologische Fragen immer weniger diskutiert würden. »Was würden Sie der Kirche raten? Muss Kirche mehr werben?«, fragte Moderator Brökel. Die Politik müsse der Kirche nicht sagen, was sie tun solle, antwortete Kampeter. »Erneuerung muss aus den Gemeinden kommen und nicht aus dem Bundesministerium für Finanzen.«
Aus dem Verlauf der Diskussion wurde eines ganz deutlich: Das Verhältnis von Kirche und Politik ist vielschichtig. Wie andere Lobbyisten versuchten auch die christlichen Kirchen ureigene Interessen in den Parlamenten durchzusetzen. Andererseits gebe es doch einen grundsätzlichen Unterschied: »Kirche ist Lobbyistin der Schwachen. Sie ergreift für die Benachteiligten Partei und erhebt dort ihre Stimme, wo sonst nur dröhnendes Schweigen herrschen würde«, meinte Thorsten Maruschke.
Gerade diese Funktion müsse Kirche eigentlich noch viel offensiver wahrnehmen, fand Micha Heitkamp. »Kirche muss sich die Frage stellen, wie staatstragend sie sein will. Kirche muss nicht realpolitisch denken, sie kann auch Visionen entwickeln.« Wie wenig sich Kirche auf die »Befriedigung von Glaubensbedürfnissen« reduzieren lasse, habe sich gerade in der DDR gezeigt, wo sie zur Keimzelle der friedlichen Revolution geworden sei.
Besonders handgreiflich manifestiert sich das komplizierte Verhältnis zwischen Kirche und Staat in der Person des Politikers selbst. »Lässt sich Christsein in der Politik überhaupt durchhalten?«, fragte Bröker provokant. Thorsten Maruschke stellte die Gegenfrage: »Lässt sich Politik überhaupt durchhalten, ohne Christ zu sein?« Jeder Politiker treffe auch Fehlentscheidungen. Da sei es wichtig, sich der eigenen Fehlbarkeit bewusst zu sein und den Rückhalt im Glauben zu haben. »Ich frage mich, wie andere mit der Schuld, die sie auf sich laden, ohne diesen Rückhalt fertigwerden.« Den eigenen christlichen Glauben im beruflichen Alltag zu konkretisieren, sei im Übrigen für den Politiker nicht schwerer oder leichter als für jeden anderen Menschen, betonte Steffen Kampeter. »Wenn das nur immer so klar wäre, was aus dem Christsein folgt. Dass man dabei auch sündigt, ist kein Geheimnis.«
Micha Heitkamp bestätigte, dass ein christlicher Politiker seine politischen Entscheidungen selbstverständlich auf der Grundlage seiner christlichen Werte treffe. Aber »aus dem einen Glauben können sich durchaus unterschiedliche politische Entscheidungen entwickeln.« Es war bedauerlich, dass gerade einmal 35 interessierte Besucher zur Podiumsdiskussion kamen, die wahrlich mehr Resonanz verdient gehabt hätte.
Text und Foto: Cornelia Müller, Westfalen-Blatt