Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Höner

Autorin Marlies Kalbhenn bringt Buch ihres verstorbenen Vaters „Duett am
Wolchow“ heraus



VON KARSTEN SCHULZ
¥ Espelkamp. „Es gibt Zeiten,
in denen sich alles verdichtet
und der Becher unseres Lebens
uns randvoll gefüllt erscheint.
Oft sind es nur kurze
Stunden, manchmal nur Augenblicke,
dann möchten wir
die Uhren anhalten, weil wir
meinen, es müsse so bleiben.
Wir wissen, dass das nicht geht,
aber wir leben von diesen Augenblicken
und diesen gefüllten
Zeiten.“ Das schrieb der
Autor Herbert Höner 2004 in
seinem Buch „Erinnern hat
seine Zeit“. Er starb am 13. Juni
2014. Seit heute ist ein weiteres
Buch des bekannten Espelkampers
im Buchhandel
erhältlich mit dem Titel „Duett
am Wolchow“, das seine
Tochter, Verlegerin Marlies
Kalbhenn, in ihrem Verlag herausgegeben
hat.



„Ich sehe es als Vermächtnis
meines Vaters für die Urenkel-
Generation an“, sagt sie im Gespräch
mit der NW. Auch der
jetzt heranwachsenden Generation
bleibe es nicht erspart, an
die Tage der Vergangenheit zu
denken, aus den Jahren der Geschichte
zu lernen und die Alten
zu fragen, schreibt Marlies
Kalbhenn in ihrem Vorwort. Ihr
Vater gehöre zu den wenigen
Urgroßvätern, die noch aus eigenem
Erleben berichten könnten.
„Gut, dass einige von ihnen,
wie Hebert Höner, ihre Erinnerungen
aufgeschrieben haben“.
Herbert Höners Autobiografie
„Erinnern hat seine Zeit“, die
sein Leben von der Geburt bis
zum Kriegsende 1945 beleuchtet,
war vergriffen, wie Marlies
Kalbhenn erläuterte. Deshalb
hatte sie bereits vor einiger Zeit
die Idee gehabt, das weitere –
vielleicht sogar noch interessantere
Leben ihres Vaters – in
einem zweiten Buch aufzuschreiben.
Dies habe sie mit ihm
auch so besprochen, der sofort
zustimmte. „Doch leider
schwanden seine Kräfte immer
schneller.“ So wurde die Tochter
umso aktiver. Sie griff Teile
der alten Autobiografie auf, vor
allem die 18 Monate an der
Wolchow-Front von 1942 bis
1943 und die dort gemachten
Kriegserlebnisse ihres Vaters. Sie
überarbeitet sie, kürzte, brachte
sie in einen anderen Zusammenhang.
Sie ging die Aufzeichnungen
ihres Vaters –
Ordner für Ordner – seine Briefe,
seine Reden durch. Schließlich
entdeckte sie ein Essay ihres
Vaters, das er 1995 vor dem
Hintergrund einer Einladung
Dortmunder Friedensgruppen
an ihn anlässlich 50 Jahre
Kriegsende geschrieben hatte.
Dort habe er sein Leben, seine
Wandlung nach dem Ende des
Krieges, reflektiert. Daraus wird
im Buch zitiert. Beispielsweise
die Tatsache, dass er 200 Mann,
die ihm als Leutnant unterstanden,
erlaubte, die Waffen zu
vergraben, die Uniform auszuziehen
und nach Hause zu gehen.
Das ereignete sich in der
Nähe von Salzburg. Danach war
Höner selbst 40 Tage zu Fuß unterwegs,
bis er in seiner Heimat
ankam. „Mein Vater ist 1945 in
ein tiefes Loch gefallen. Er war
verzweifelt, hat viel geweint und
kam wieder in Kontakt zur Kirche“,
weiß seine Tochter durch
viele Gespräche mit ihm.
Er habe zu den wenigen
Menschen seiner Generation
gehört, die „von Anfang an
nichts beschönigt haben“. Seine
„eigenen Verstrickungen in
das Unrechtssystem“ habe er
immer deutlich gemacht. Herbert
Höner stellte nach dem
Krieg Zuhause die richtigen
Fragen. Beispielsweise die nach
dem Verbleib der früheren jüdischen
Nachbarn und Freunde.
Er hat sich auseinandergesetzt
mit dem herrschenden
Antisemitismus und forderte die
Versöhnung mit der ehemaligen
Sowjetunion und mit Polen.
Er fragte nach Ursache und
Wirkung der Kriege und des
Unrechtssystems. Dafür musste
er sich auch schon mal als
„Nestbeschmutzer“ auf öffentlichen
Veranstaltungen beschimpfen
lassen.
Bekannt wurde seine
Rede, die er im früheren
Leningrad heute St. Petersburg hielt. Dort, wo seinerzeit
durch die Kämpfe zwischen
der deutschen Heeresgruppe
und der Roten Armee
mehr als drei Millionen Zivilisten
ums Leben kamen. Das
war am 26. August 1985. Höner
war seinerzeit mit einer Delegation
der Evangelischen Jugend
von Westfalen dort zu Besuch.
„Die Erinnerung an die großen
Kriege muss wachgehalten
werden. Und dazu tragen die
Aufzeichnungen meines Vaters,
die wir jetzt in diese zwei
Bücher gefasst haben, ein gutes
Stück bei“, sagt Marlies Kalbhenn.
Das gesamte Manuskript
habe sie ihrem Vater im Krankenhaus
vorgelesen. Er habe es
„sehr bewegt“ zur Kenntnis genommen.
Fünf Gedichte runden das 150
Seiten umfassende, wirklich lesenswerte
Buch ab. Zeichnungen
von Christiane Tietjen, früher
in Espelkamp beheimatet
und jetzt in Bremen lebend,
schaffen Abwechslung.