Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

»Eine Frau an der Spitze ist ein Signal«

Künftige Präses Annette Kurschus im Interview


Annette Kurschus (48) wird ab März als erste Frau an der Spitze der evangelischen Landeskirche von Westfalen stehen. »Eine Frau in diesem Amt, das hat eine Signalwirkung. Ich merke, dass die Freude darüber groß ist - auch bei den Männern.« Im Interview mit dieser Zeitung spricht sie über ihr künftiges Amt und die Perspektiven der Landeskirche. Seite 5: Interview


»Wir haben einen Auftrag«

Annette Kurschus, künftige Präses der evangelischen Landeskirche, fordert einen selbstbewussten Glauben
Siegen (WB). Mit überwältigender Mehrheit ist Annette Kurschus (48) am 16. November von der Landessynode der evangelischen Kirche von Westfalen zur Präses gewählt worden. Im März folgt die Superintendentin des Kirchenkreises Siegen auf Alfred Buß. Ulrich Windolph und Bernd Bexte haben mit ihr über die Herausforderungen des neues Amtes, Ökumene und die Zukunft der Kirche gesprochen.



Der Weg von Siegen nach Bielefeld ist weit, sicherlich auch für Sie persönlich. Wird Ihnen der Abschied schwer fallen?Annette Kurschus: Ja, absolut. Aber eigentlich wird mir erst jetzt so langsam bewusst, dass ich viel Vertrautes hinter mir lassen muss. Ich habe hier einen großen Freundeskreis, mein Vater lebt hier in der Region, und abgesehen vom Studium lebe ich hier seit etwa 40 Jahren. Aber Bielefeld ist mir nicht fremd, nicht nur durch den Kontakt zur Landeskirche. Einer meiner Brüder lebt dort.

Sie haben mit deutlichem Vorsprung die Präses-Wahl gewonnen. Waren Sie von dem Ergebnis überrascht?Kurschus: Ja, sehr. Das hätte ich nicht im Entferntesten erwartet. Dass es dann so deutlich war, hat vielleicht mit der Vorstellungsrede zu tun. Ich hatte den Eindruck, dass da ein Funke übergesprungen ist. So etwas hat man aber nicht in der Hand. Ich habe einfach versucht, mich so ehrlich und aufrichtig zu geben wie möglich, so dass die Leute merken: Das ist sie jetzt.

Kann die überwältigende Zustimmung nicht auch eine Last sein, da die Erwartungshaltung doch sehr groß ist?Kurschus: Es ist für mich keine Bürde, wenn Sie das meinen. Aber natürlich sind da starke Erwartungen, das weiß ich. Dieses Amt, so wie es angelegt ist, bringt extrem hohe Anforderungen mit sich. Aber ich bin ja nicht alleine: Die Präses übt ihr Amt in kollegialer Gemeinschaft aus, außerdem gibt es viele kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Werden nicht an eine Frau andere Maßstäbe angesetzt?Kurschus: Dass jetzt eine Frau an der Spitze der Landeskirche steht, hat zumindest eine Signalwirkung. Ich merke, dass die Freude darüber groß ist - auch bei den Männern. Es kann sein, dass die Erwartung damit verbunden ist, dass eine Frau dieses Amt mit eher typisch weiblichen Eigenschaften wie Wärme und Fingerspitzengefühl ausfüllen wird. Ich bin bei solchen Zuschreibungen aber insgesamt vorsichtig. Denn so wenig, wie es »den Mann« gibt, so gibt es auch nicht »die Frau«. Jeder hat seinen eigenen Stil. Ich hoffe, dass ich wahrgenommen werde als ein Mensch, der Zuversicht ausstrahlt, der Freude hat, in und an der Kirche zu arbeiten.

Sie sagen aber auch, dass die Kirche »nicht zu betriebsam« werden dürfe. Was meinen Sie damit?Kurschus: Wir laufen Gefahr, um Menschen für uns zu interessieren, viele Dinge aufeinanderzuhäufen, um jeden zu erreichen. Durch Aktionismus kann die Tiefe verloren gehen. Wir müssen nicht jedem ein Häppchen hinwerfen, denn wir selber werden dabei atemlos.

Beziehen Sie das auch auf Äußerungen zu tagespolitischen Themen?Kurschus: Ja, ich will da vorsichtig sein. Es gibt Themen, da sind wir vom Evangelium her gefordert, uns zu äußern. Zum Thema Mindestlohn müssen wir uns positionieren, aber wenn beispielsweise die Zugführer streiken und sich Züge verspäten, muss ich dazu nichts sagen.
Wir haben lange Zeit versucht, um für Menschen attraktiv zu sein, uns leicht und gefällig zu verkaufen. Das war ein Holzweg. Wir müssen klar sagen, wer wir sind und was unsere Kirche im Kern ausmacht.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einer Volkskirche. Was meinen Sie damit?Kurschus: An der Volkskirche ist mir wichtig, dass man dazugehören kann, ohne zu glauben. Das hört sich zunächst vielleicht merkwürdig an. Aber dahinter steht auch meine Erfahrung: Es ist nicht immer mein Glaube, der meine Beziehung zu Gott und der Kirche trägt. Manchmal ist es auch nur die Zugehörigkeit zu einer Gemeinde. Im persönlichen Glauben erlebt man auch Phasen der Schwäche und Zweifel. Da ist es gut, von einer Gemeinschaft getragen zu werden. Es ist deshalb auch unsere Aufgabe, innerhalb unserer Kirche missionarisch zu wirken.

Der Begriff Missionierung ist allerdings nicht nur positiv besetzt.Kurschus: Wir wollen niemandem etwas überstülpen. Aber Mission gehört zum Wesen der Kirche, wir haben einen Sendungsauftrag, die Botschaft Jesu zu verkünden und Menschen dafür zu interessieren.

Für eine Kirche mit immer weniger Mitgliedern und immer geringeren finanziellen Möglichkeiten keine leichte Aufgabe.Kurschus: Ja, wir merken, dass diejenigen, die die Botschaft verkünden sollen, sehr erschöpft sind, manche am Rande dessen, was sie leisten können, oder frustriert, da sie in Verwaltungsarbeit ersticken. Wir müssen wieder dazu kommen, dass die Pfarrer das machen können, weshalb sie zur Kirche gekommen sind. Das gilt auch für alle anderen Mitarbeiter, vom Kirchenmusiker bis zur Diakonie. Wir brauchen wieder eine klarere Rollenverteilung.

Aber wie soll das bei immer knapperen Ressourcen funktionieren?Kurschus: Es wird nicht ohne das Ehrenamt gehen. Wir werden zunehmend angewiesen sein auf Menschen, die Kirche gestalten, ohne dafür bezahlt zu werden. Sie ernst zu nehmen und mit dem nötigen Handwerkszeug auszustatten - das ist ein hohes, aber kein einfaches Ziel.

Gleichzeitig muss sich die Kirche an ihrem eigenen Handeln messen lassen. Und da gibt es viel Kritik wegen des Festhaltens am Streikverbot für Mitarbeiter von Kirche und Diakonie. Zu Recht?Kurschus: Wir beschreiten bei Tarifverhandlungen den sogenannten Dritten Weg. Der besagt, dass wir eine Einigung im Konsens erzielen. Wir sind davon durchdrungen, dass durch Gespräche in paritätisch besetzten Gremien eine Einigung erzielt werden kann, nicht im Konflikt. Dazu stehen wir. Es muss aber klar sein, dass dadurch keine ungerechten Zustände geschaffen werden können. Es gibt Einzelfälle, bei denen dieses System unterlaufen wird und Löhne gezahlt werden, die nicht angemessen sind. Das müssen wir abstellen.

Eine große Aufgabe wird die Gestaltung der Ökumene sein. Derzeit steht es hier aber nicht zum Besten, oder?Kurschus: An der Basis haben wir schon viel erreicht. Aber wir waren insgesamt schon mal weiter. Durch den jetzigen Papst und seine konservative Strenge hat sich manches zurückbewegt. Das bereitet mir schon Sorge. Wir dürfen im Gespräch aber nicht nachlassen. Dabei müssen wir jedoch auch die strittigen Themen klar benennen. Beispielsweise können wir durch das unterschiedliche Amtsverständnis vieles noch nicht gemeinsam tun. Wir haben ja sogar noch Mühe, von den katholischen Geschwistern als Kirche anerkannt zu werden. Ich glaube, dass uns nur Beharrlichkeit weiterhelfen kann.
Allerdings haben sich auch viele Katholiken über meine Wahl gefreut. Zum Beispiel hat mir NRW-Umweltminister Johannes Remmel, ein Katholik, geschrieben, dass in seiner Kirche so etwas ja leider nicht möglich sei.

Neben der Ökumene gibt es den interreligiösen Dialog. Wie will die evangelische Landeskirche ihr Verhältnis zum Islam gestalten?Kurschus: Wir müssen einen angemessenen Umgang miteinander finden. Das ist eine Frage des alltäglichen Miteinanders. Muslime und ihr Glaube sind Teil unserer Gesellschaft. Ein Dialog funktioniert aber nur, wenn man auch die unterschiedlichen Positionen benennt. Dabei geht es nicht darum, jemanden mit Gewalt zu vereinnahmen.
Ich bin froh, dass es islamischen Religionsunterricht geben wird und kann mir auch vorstellen, dass Muslime eigene soziale Einrichtungen unterhalten. Wenn wir von unserem Glauben überzeugt sind, müssen wir keine Überfremdung fürchten.

Sie kommen aus der reformierten Kirche. Wäre es Ihnen nicht lieber gewesen, schon im Calvin-Jahr 2009 an der Spitze der Landeskirche gestanden zu haben als im Lutherjahr 2017?Kurschus: Beides hat seinen Charme. Es war schön, dass vor zwei Jahren die vielen positiven theologischen Akzente Calvins ins Bewusstsein gerufen wurden. Das war nicht immer so. Das Calvin-Jahr hat dem Stand der Reformierten im Protestantismus gut getan. Für unser protestantisches Miteinander ist es ein besonders schönes Signal, dass ich als Reformierte jetzt mit der ganzen Kirche auf das Reformationsjubiläum zugehe. Es ist ein Miteinander, das in seiner Vielfalt farbenprächtig leuchtet.
WB Artikel vom 26.11.2011