Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Inklusion – jetzt oder in Zukunft?

Espelkamp(WB). Mit dem Thema »Inklusion« hat sich ein vom Wittekindshof organisierter Workshop in Espelkamp befasst. »Wir sind Inklusion«, hat Professor Dr. Frank Dieckbreder von der Fachhochschule für Diakonie zusammengefasst. Er verfolgte die Veranstaltung als Gast.

»Wir sollten Inklusion nicht in der Zukunft sehen, sondern in der Gegenwart und diese dementsprechend gestalten«, reagierte er auf das Fazit einiger Diskussionsteilnehmer, die Inklusion als »länger dauernden Prozess« oder »Aufgabe für die Zukunft« bezeichnet hatten. Laut Dieckbreder »kann nicht jeder am gemeinschaftlichen Leben teilhaben, aber er kann sich entscheiden, ob er teilhaben will.« Das bedeute für ihn der Begriff »Inklusion«.

Einer der Teilnehmer der Arbeitstagung war auch Espelkamps Bürgermeister Heinrich Vieker. »Ich habe hier viel gelernt«, sagte er in seinem persönlichen Fazit. Auch er meinte aber: »Wir wollen hin zur tatsächlichen Inklusion« (der gleichberechtigten Teilhabe von behinderten und nicht behinderten Menschen am Leben). Man habe aber zunächst lediglich die ersten Schritte gemacht. Wenn auch in vielen Bereichen die »Menschen mit Einschränkungen« nur teilnehmen könnten, wäre dies schon Teilhabe, aber nicht Inklusion im Sinne des Begriffs, erklärte Vieker. »Da muss noch was kommen. Inklusion muss in den Köpfen beginnen«, sagte er.

In den Schulen sei dies einfacher, denn Kinder hätten nicht die Grenzen im Kopf, wie die Erwachsenen mit ihrem Wettbewerbs-Denken. »Die meisten Widerstände haben wirtschaftliches Denken als Hintergrund«, meinte der Bürgermeister.

Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Leiter der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, sah dies – auch nach einem Referat seines Mitarbeiters Diakon Burkhard Hielscher – ähnlich. Hielscher hatte die Geschichte der Einrichtung beschrieben, die erst zum Jahr 2000 die Wende von der Einrichtung, die Behinderte an einem Ort betreut und versorgt, hin zu dezentralen Wohngruppen vollzogen hat.

Starnitzke sagte: »Wir stehen erst am Anfang eines Weges der uns möglicherweise zur Inklusion führen wird.« Dies sah er auch vor dem Hintergrund der Geschichte der eigenen 1887 gegründeten Einrichtung mit damals 1500 Wohnplätzen an zentraler Stelle. Erst 2009 erfolgte der Wandel. »Menschen mit Einschränkungen sagen jetzt, was sie wollen, wo, wie und mit wem sie leben und wohnen wollen.« Bis 2020 wolle der Wittekindshof nur noch 500 Menschen in der zentralen Einrichtung unterbringen. »Wir haben noch viel vor uns«, sagte Starnitzke.

Auch ein so genanntes KIZ (Kommunikations- und Integrationszentrum), wie in Lübbecke bereits etabliert, könne zum besseren Miteinander beitragen. So etwas sei für Espelkamp anzustreben. Auch Heinrich Vieker sprach sich für die Einrichtung einer solchen Anlaufstelle aus.

Viel hat sich in Richtung Inklusion getan. Projekte, bei denen Menschen mit Einschränkungen in normalen Wohnhäusern untergebracht sind, wurden genannt, positiv betrachtet, aber auch kritisiert: »Das ist ja wieder keine Inklusion, wenn eine Etage für Behinderte reserviert ist«, meinte jemand aus der Runde. Auch Wohnheime, die zwar jetzt in den Innenstädten zu finden seien, würden zwar für Integration, aber nicht für Inklusion stehen, kritisierten Teilnehmer.

Im Schussfeld war die integrative Disco »Let’s Dance« in Espelkamp, an der meist 600 Besucher teilnehmen. Auch dies sei eine »schöne Aktion« aber nicht die Verwirklichung des Begriffs »Inklusion«. »Das wäre der Fall, wenn allen Behinderten die Möglichkeit gegeben würde, selbst eine normale Diskothek zu besuchen«, meinte ein Tagungsmitglied.
Einig waren sich am Ende jedoch alle: Es hat sich in den vergangenen Jahren schon vieles in die richtige Richtung verändert: Behinderte leben allein oder betreut, aber nicht mehr im abgeschlossenen Heim. »Wir müssen jetzt gemeinsam weiter daran arbeiten«, hieß es.

Auf der anderen Seite stehen aber auch die Kritiker, die sich dafür aussprechen, bewährte Formen, wie Schulen für Lernbehinderte, nicht einfach so aufzugeben, nur weil eine »vermeintliche Inklusion auf den ersten Blick vielleicht kostengünstiger erscheint, als das bisher Erreichte«.


Sie haben die Arbeitstagung organisiert (von links): Diakon Burkhard Hielscher, Moderatorin Christa Zwilling-Seidenstücker, Ralf Stühlmeyer. Michael Biesewinkel, Bürgermeister Heinrich Vieker, Pfarrer Edgar Born, Dierk Starnitzke und Mechthild Hitzeroth.

Text und Foto: Michael Nichau, Westfalen-Blatt vom 13. und 14. Februar 2016