Wehdem erwartet »Rockerin im Talar«
Schloß Holte-Stukenbrock lässt Seelsorgerin nur ungern gehen: bewegende Abschiedsfeier für Sigrid Kuhlmann
Von Dieter Wehbrink
Wehdem/Westrup/Oppendorf (WB). Wehdems Kirchengemeinde-Sekretärin Bettina Tiemann bringt zufällig den Müll nach draußen, als sie zwei ungewöhnliche Besucher entdeckt.
Mitten auf dem Parkplatz des Gemeindehauses halten zwei schwere Motorräder. Auf der 1200-er BMW sitzt ein Mann, auf der 1000-er BMW eine blonde Frau - mit Helm und in voller Motorradmontur. »Kann ich ihnen vielleicht helfen?«, fragt Bettina Tiemann die beiden Biker höflich. Sie glaubt, die Beiden suchen den richtigen Weg, doch die Antwort ist überraschend. »Ja, Sie können uns helfen. Wir interessieren uns sehr für Ihre Kirchengemeinde«, erwidert die Motorrad-Lady.
Unter dem Helm verbirgt sich das Gesicht von Sigrid Kuhlmann (53), Pfarrerin aus Schloß Holte-Stukenbrock. Sie steuerte mit ihrem Lebensgefährten Uwe Schnelle bewusst den Wehdemer Kirchberg an: Erst wenige Tage zuvor hatte die Seelsorgerin von einer Stellenausschreibung in Wehdem erfahren. Dort sucht die Kirchengemeinde einen Nachfolger für den in Ruhestand gehenden Pfarrer Ulrich Mentemeier.
Bettina Tiemann informiert die Motorradfahrer über die Kirchengemeinde, zeigt ihnen das Gotteshaus. Sigrid Kuhlmann bewirbt sich, hält einen Probegottesdienst und wird vom Presbyterium gewählt. Am 24. Februar soll die neue Wehdemer Pfarrerin im Gottesdienst in ihr neues Amt eingeführt werden.
Doch wer ist diese Frau, die mit dem Wechsel von Schloß Holte-Stukenbrock nach Wehdem ein persönliches Lebensziel verwirklicht? »Einmal noch im Leben eine neue Stelle annehmen - das wollte ich unbedingt, und mit 53 ist es dafür höchste Zeit«, sagt die Seelsorgerin. Es muss beeindruckend gewesen sein, was Bettina Tiemann damals ihren beiden noch fremden Besuchern berichtet hat. Sigrid Kuhlmann entschied sich jedenfalls für eine Bewerbung in Wehdem.
Hier, in Wehdem, Westrup und Oppendorf, wissen nur sehr wenige Menschen etwas über ihre neue Pfarrerin. Ganz anders ist dies in Schloß Holte-Stukenbrock, denn dort ist am vergangenen Wochenende ein bewegender Abschiedsgottesdienst für Sigrid Kuhlmann abgehalten worden. Die Berichte über diese Veranstaltung lassen erahnen, dass sich die Dörfer der Kirchengemeinde Wehdem auf eine Pfarrerin mit Herz freuen können. Der Platz in der Schloß Holter Kirche reichte nicht für alle Teilnehmer aus. »Heute wirst Du Abschied nehmen von Menschen, die Du in entscheidenden Stationen ihres Lebens - in Trauer und Freude - begleitet hast, Menschen, die Dir nicht nur beruflich, sondern auch menschlich ans Herz gewachsen sind. Herzlichen Dank für Dein Wirken. Alles Gute und Gottes Segen«, wünschte Christian Heine-Göttelmann, Superintendent des Kirchenkreises Gütersloh der Pfarrerin.
20 Jahre hat Sigrid Kuhlmann in dieser Gemeinde gewirkt. Nach dem Abschiedsgottesdienst und dem gemeinsamen Mittagessen erhielt die hoch angesehene Seelsorgerin im Gemeindehaus zahlreiche, oft liebevoll und spaßig gestaltete Wünsche. Ein besonderes Geschenk im Namen der Gemeinde durfte Pfarrer Reinhard E. Bogdan überreichen. Da sich Sigrid Kuhlmann schon zu Beginn ihrer Arbeit den Ruf als »Rockerin im Talar« erworben hatte, schenkte er ihr eine Gitarre mit den Worten: »Du hast sie gespielt, Du hast Dich an sie gewöhnt, Du sollst sie behalten.«
Sigrid Kuhlmann war sichtlich gerührt. Sie sprach den hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern der Gemeinde und allen Weggefährten großen Dank für die gemeinsame Zeit aus. Ein besonders persönlicher Dank galt ihrer Mutter, die auch zur Verabschiedung gekommen war.
Das Gitarrenspiel ist nach dem Motorradfahren und der Handarbeit ein Hobby der neuen Wehdemer Seelsorgerin. »Ich mag Oldies, Jazz, Country oder auch gute klassische Musik«, erzählt Sigrid Kuhlmann der STEMWEDER ZEITUNG. »Ich bin in einer Kirchengemeinde in Bielefeld-Stieghorst groß geworden. Mein Großvater hat dort schon im Posaunenchor gespielt, und ein Teil meiner Familie gehört diesem Chor immer noch an. Posaunenmusik gehört zu einem Gottesdienst einfach dazu.« Techno-Musik, so erzählt Sigrid Kuhlmann schmunzelnd, müsse sie »nicht unbedingt hören«.
Die neue Pfarrerin will im Pfarrhaus an der Wehdemer Kirche wohnen. »Dort sind allerdings noch Handwerker tätig. Sie werden nicht rechtzeitig fertig, so dass ich vorübergehend in die Wohnung der Kindergartenleitung an der Wehdemer Kita ziehen muss«, erzählt Kuhlmann. »Gefragt ist daher ein gut geteilter Umzug.«
Auf das spätere Wohnen im Pfarrhaus freut sie sich schon, denn dort gibt es einen großen Garten. Die Arbeit darin, so vermutet die Seelsorgerin, könnte ein weiteres Hobby werden . . .
WB Artikel vom 09.01.2013