- Kirchenkreis
- Gemeinden
- Kindergärten
- Gemeinsame Dienste
- Kirchenkreisstiftung
- Glauben leben
Das Interview führte Christine Scheele vor dem Konzert in Rahden am 26.11.09
CS:Wie sind Sie groß geworden?
HRK: Ich bin in einem Flüchtlingslager auf die Welt gekommen und nach drei Monaten weggezogen. Ich habe keinerlei Erinnerung an Espelkamp. Ich stamme aus dem Osten, da wurde ich noch gezeugt. Und rein zufällig kam ich in Espelkamp auf die Welt. Nach drei Monaten sind die Eltern weggegangen und relativ oft in Nordwestdeutschland umgezogen, bis ich dann mit ihnen in Osnabrück hängen geblieben bin. Da habe ich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht und bin dann auch als Musiker noch ein paar Jahre da geblieben, 1988 aber auch schon weggegangen nach Hannover, wo ich jetzt lebe.
CS. Sind Sie ein Vertriebener, nirgendwo Gebliebener, wie Sie in einem Lied singen?
HRK:Das ist wahr. Das ist ein Lied, das ich gemacht habe, genau wie das Lied ‚Brille’, wo ich einfach mal reagiert habe auf die vielen Fragen. Wo bist denn Du aufzufinden in diesen Texten? Du maskierst dich so oft, du nimmst Rollen ein, und du schilderst Leute, manchmal bist du eine alte Frau in einem Lied oder ein kleines Kind. Gibt es denn auch mal private Äußerungen in Liedform? Und deshalb hab ich so gesagt: Na klar - und dann habe ich Vertriebene gemacht und dann später Brille. Das sind sehr persönlich zutreffende Sachen, das ist so passiert. So war’s.
CS. Warum singen Sie in Kirchen?
HRK: Da ich durchaus gerne viel spiele, ist eben die kleine Besetzung eine Möglichkeit, auch in kleinen Orten vorzukommen. Und darum machen wir das. Es hat keine religiöse Bedeutung.
CS. Auf einem Ihrer Plattencover steht ein Zitat von Fernando Pessoa: „Wenn das Herz denken könnte, stünde es still“. Was verbinden Sie mit dem Satz?
HRK: Offenbar ist das Herz für Pessoa ein sehr wichtiges Organ. Und wenn das Herz, so verstehe ich den Satz, nicht nur fühlen könnte, also die Aufgaben des Gehirns noch übernehmen würde, dann würde es vor Schreck still stehen.
CS. Woran hängt Ihr Herz?
HRK: Woran mein Herz hängt, ist schwer zu beantworten, und hat mit meiner Arbeit wenig zu tun. Woran mein Herz hängt, ist im Grunde eine private Frage. Und in meiner Arbeit blute ich mich ja nicht privat aus, sondern ich bin ja Erfinder, Autor von Beruf, und ich lege großen Wert darauf , dass man genau darauf achtet, dass man nicht alle Meinungen, die in meiner Arbeit auftauchen, für meine Meinungen hält. Ich erfinde auch manchmal Rollen und bringe einfach Charaktere zum Sprechen, die ich mir ausdenke oder die ich irgendwo gesehen und aufgeschnappt habe und die von alleine nicht reden würden. Also man muss sehr genau hingucken und das einzeln abklopfen, wo meine persönliche Meinung drin steckt, die ich auch gar nicht für so wichtig halte. Die Texte sind eine Collage, aus dem was ich meine, aus dem, was mir wichtig ist und dem was mir auffällt, was ich um mich herum entdecke an Haltungen, an Wertvorstellungen und die bringe ich eigentlich in die Schwebe. Deshalb habe ich auch manchmal sehr böse Texte dabei.
CS: In Ihren Texten entdecke ich immer wieder religiöse und theologische Bezüge. Können Sie etwas dazu sagen?
HRK: Ich glaube, die Frage nach den religiösen Bezügen kann man ganz einfach beantworten. Wenn man sich viele Jahre mit der Dichterei herumschlägt, dann kommt man an der Bildwelt der Theologie, der Bibel gar nicht vorbei. Das ist ja selbst Brecht so gegangen, der ja auch die Bibel als sein Lieblingsbuch bezeichnet hat und der nun wirklich knochenharter Atheist war und Materialist und Marxist. Aber als Dichter ist man einfach immer wieder magnetisiert von diesen Urgeschichten, die da drin stehen. Es gibt wahrscheinlich wenig in der Weltliteratur - außer Shakespeare - wo menschliche Grundkonstellationen abgebildet sind wie in den biblischen Geschichten, das sind Urtexte des allgemein Menschlichen, die man eigentlich in jedem Jahrhundert wieder neu aufgreifen kann, mit neuem Leben füllen kann. Das sind menschliche Grundmodelle. Und wenn die nicht mehr funktionieren, wenn die auf keine Resonanz mehr stoßen, bei jüngeren, nachwachsenden Generationen, dann hat die Welt sich nichts mehr zu erzählen. Der Mensch lebt vom Erzählen. Ich glaube, man kann ohne zu überspitzen sagen: Wenn irgendwann eine verblödetet Welt heranwächst, die Shakespeare und die Bibel nicht mehr versteht, dann ist das das Ende der Welt.
CS Die Person Heinz Rudolf Kunze hat mich gar nicht interessiert( Kunze: mich auch nicht). Mich haben Ihre Texte an wichtigen Stationen meines Lebens begleitet. Sie führen immer wieder an die Grenzen des Sagbaren. Haben Sie spirituelle Vorbilder?
HRK: . Also bei den Philosophen, das habe ich ja nun studiert, gibt es ja auch einige, die an die Grenze des rational Ausdrückbaren gehen. Das hat mich schon immer sehr interessiert, ich habe aber keinen Guru, keine Leitfigur. Ich bin da eigentlich sehr breit aufgestellt und breit interessiert.
Aber das mit der Person, darauf möchte ich noch einmal zurückkommen. Ich glaube, es gibt grundsätzlich zwei Typen von Sängern, die Lieder machen. Der eine Typ, der nimmt sich selber als Person sehr wichtig, die Lieder sind eigentlich nur ein Vorwand, um sich selber darzustellen. Das sind die Belmondos, da geht es um die Starqualität. Hallo, da bin ich wieder, und ich habe auch ein paar Lieder mitgebracht. Und dann gibt es die andere Abteilung, denen die Lieder wichtiger sind als sie selbst. Bob Dylon hat mal gesagt: „Ich bin nur der Postbote. Auf den Brief kommt es an“. Und die Position find ich gut. Was ich fühle, kommt nur zum Teil drin vor. Ich finde, es ist meine nobelste Aufgabe, dass ich auch Gefühle von Menschen gestalten kann, die ich nicht bin, die ich erfinde oder die ich zitiere, indem ich irgendwas aufschnappe mit spitzen Öhrchen, wenn ich im Cafe sitze. Wenn ich etwas höre, dann regt mich das an, dann bilde ich das ab. Und nur wenn einem das gelingt, hat man das Erlebnis, das man im Konzert ab und zu in den Gesichtern sieht, ja das kenne ich, dass Leute dann aufwachen und sagen: „Das stimmt. Das lag mir auch schon lange auf der Zunge“. Und er sagt’s jetzt.
VON ANJA SCHUBERT Bilder: Christine Scheele
Rahden. Ein begeistertes Publikum und ein vor Applaus erzitterndes Gotteshaus machten am Ende des Konzertes eines deutlich: Heinz Rudolf Kunze hat nichts von seiner Originalität verloren. Der gebürtige Espelkamper lieferte ein tolles Konzert, mit bissigen bitterbösen Texten und romantischer Poesie. Das Konzert von Heinz Rudolf Kunze, das in der St.-Johannis-Kirche stattfand, war restlos ausverkauft.
Kunze und Co. lieferten nicht nur Songs aus dem neuen Album. Hits wie „Finden Sie Mabel“, „Meine eigenen Wege“ und „Aller Herren Länder“ und „Wenn du nicht wiederkommst“ hallten, größtenteils publikumsgestützt, ebenso durch die Hallen wie die von den Fans geliebten Songs „Rückenwind“, „Regen in Berlin“ und „Ich hab’s versucht“.
Mal bissig satirisch, mal poetisch und tiefsinnig die Liedtexte ebenso wie die Sprechtexte Kunzes zwischen den Liedern, die ihn zum verbalen Frontmann des Trios machten. Mehr als zwei Stunden zeigte Kunze, was er damit meinte, als er zu Beginn das Publikum mit einem „Ich bin viele nette Leute“ begrüßte. Ob die Bibel, die bald niemand mehr kennt, Nano-Partikel, die die Menschen mehr in Aufruhr versetzen als die Schweinegrippe, menschliche Schwächen, Geheimnisse der Männer, Tokio Hotel und Bohlen, Steinmeier und Co. – die Palette schien unendlich, die Kunze in den zwei Stunden satirisch tiefsinnig unter die Lupe nahm. Seitenhiebe und Sozialkritik, der Finger in den Schwachstellen der Menschen, die eigentlich keine haben, waren an diesem Abend Gang und Gäbe.
Kunze wagte dann auch, Blueselemente zu präsentieren, obwohl die weißen Jungs und Mädchen eigentlich die Finger von dieser schwarzen Musik lassen sollten.
© 2009 Neue Westfälische
Zeitung für den Altkreis Lübbecke, Samstag 28. November 2009, Diepholzer Kreisblatt 28.11.09
Er kommt in Räuberzivil: Ohne Schlips und Kragen, aber in Tarnjacke. Und die ist - bis auf die markante Brille - ironischerweise das einzig Auffällige an dem Mann, der aussieht wie ein Studienrat: Heinz Rudolf Kunze Liedermacher, Rockpoet und eine der beständigsten Größen im deutschen Musikgeschäft.
Am Donnerstag ist »HRK« auf Einladung von KUL-TÜR und Kirchengemeinde in der Rahdener St.-Johannis-Kirche zu Gast gewesen. Freie Plätze waren Mangelware, denn Kunze-Fans wissen, was sie an ihm und seiner Musik haben. Er setzt auf Texte, die etwas zu sagen haben, und auf »handgemachte« Musik, statt auf Glamour und elektronisch aufgemotzten Einheitssound. Und damit gelingt ihm, was nur wenige schaffen. Seine Songs hinterlassen Spuren. Sie treffen mitten ins Herz und mitten ins Hirn.
Eine stattliche Anzahl alter und neuer Lieder, von »Aller Herren Länder« und »Finden Sie Mabel« bis »Alaska Avenue« ,standen auf dem Programm. Zwischen den Songs machte sich Kunze in manchmal sehr poetischen, manchmal drastischen Worten so seine Gedanken. Über die Liebe und über menschliche Kälte und über Musikpreisverleihungenn und über eine langsam verdummende Gesellschaft. Und er hatte seinen Spaß am Absurden, etwa wenn er sich fragte, woher all die einzelnen Schuhe am Straßenrand stammen. »Gibt es wirklich so viele Zeitgenossen, die unterwegs plötzlich merken: Hoppla, ich habe ja nur ein Bein?«
Da wurden Erinnerungen an einen anderen Mahner und Erzähler wach - Hanns Dieter Hüsch. Vielleicht sind Doppelvornamenträger ja geborene Satiriker? »Geben Sie Ihrem Kind keinen Doppelvornamen. Doppelvornamen sind die vorprogrammierte Persönlichkeitsspaltung«, sinnierte Heinz Rudolf Kunze, der es ja wissen müsste. Zum Glück für seine Fans sind daraus unzählige Lieder entstanden, in denen Kunze immer etwas Neues ausprobiert: Road Songs, bei denen das Publikum mit einstimmte. Leise Balladen und Protestsongs. Und immer wieder Liebeslieder, die ohne Kitsch und süßliches Gesäusel auskommen.
Der Auftritt in Rahden war auch sonst erfrischend unprätentiös. Mit einem schlichten »'n Abend« betrat Kunze die Bühne und bot danach zweieinhalb Stunden deutsche Pop-/Rockmusik vom Feinsten, mit zwei Musikern an seiner Seite, die ihn perfekt ergänzten und das Konzert zum puren Vergnügen machten: Wolfgang Stute (Gitarre, Percussion) und Hajo Hoffmann (Geige, Mandoline). Für die tollen Soloeinlagen gab es Extra-Applaus.
Die Zuhörer waren schlichtweg begeistert: Gleich dreimal riefen sie Heinz Rudolf Kunze für eine Zugabe auf die Bühne zurück. Der beendete sein Konzert erschöpft, leise und bewegend mit einem Lied von Dirk Michaelis, »Als ich fortging«. Und dann ging er.
Rahdener Zeitung Artikel vom 28.11.2009