Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Durch Pfusch am Bau zu einem einzigartigen Wahrzeichen

Text und Fotos: Anja Schubert



Rahden. Lange wurde über die Schiefe des 26 Meter hohen Helms des Turms der Rahdener St. Johanniskirche gerätselt, dieser von den beiden Bamberger Studentinnen Maria Nitzschke und Hedwig Drabik im Rahmen ihrer Masterarbeit rund fünf Monate detailliert erforscht. Am Samstag, dem Vorabend des Tages des offenen Denkmals, wurden die Ergebnisse nach einer kurzen Erläuterung der Vorgehensweise von den beiden frischgebackenen Denkmalpflegerinnen in einem Kurzreferat im Rahdener Gemeindehaus vorgestellt, die mit ihren Thesen teilweise für Verblüffung bei den rund 40 interessierten Zuhörer und im Anschluss für eine angeregte Diskussion sorgten.

Der Helm stamme nicht wie ursprünglich angenommen aus dem 16. Jahrhundert. „Es muss ein kompletter Umbau stattgefunden haben und der Helm mit einem Großteil der Hölzer von 1581 um 1736 wieder aufgebaut worden sein. Das belegt die Holzkonstruktion“, veranschaulichten Maria Nitzschke und Hedwig Drabik ihre Ergebnisse anhand einer Power-Point Präsentation, in die sie neben vielfältigem Bildmaterial auch die von ihnen in mühseliger Arbeit von Hand erstellten Karten und Zeichnungen einfließen ließen.



„Die Schiefe des Helmes ist durch die Schiefe des Kaiserstils zu erklären, der die Gesamtkonstruktion zu tragen hat, noch dazu ist die Konstruktion der einzelnen Ebenen in sich gedreht, die Spitze weicht gut einen halben Meter vom Turmmittelpunkt ab“, konnten die beiden Expertinnen, für die der 54 Meter hohe Kirchturm bei Wind und Wetter monatelang ein zweites Zuhause darstellte, bestätigen.
Mit Schnüren und Lasermessgeräten hatten sie die einzelnen Ebenen des Helmes vermessen. Habe man auf der ersten Ebene noch eine rechteckige Form feststellen können, so sei ab der zweiten durchgängig eine achteckige Konstruktion nachweisbar. „Je höher man kommt, um so geringer ist der Durchmesser“, erklärten die beiden Diplom-Ingenieurinnen, die über den Landschaftsverband Westfalen-Lippe im Rahmen ihres Aufbaustudiums in Sachen Denkmalpflege mit dem Rahdener Gotteshaus in Berührung kamen.
Um ihnen die Arbeit zu erleichtern, hatte die Kirchengemeinde zwischenzeitlich für das Einziehen begehbarer Ebenen gesorgt. „Diese sind jetzt für Führungen bis zur ersten Ebene der Helmspitze nutzbar“, freute Pfarrer Stefan Thünemann. Noch am Abend konnten Interessierte zu einer spontanen Turmbesteigung mit den beiden Forscherinnen aufbrechen und sich vor Ort die Besonderheiten erläutern lassen und Aufschluss gebende Indikatoren vor Ort in Augenschein nehmen.

Bereits während des Baus habe sich der Turm gedreht. Viele Fragen ergaben sich aus den Ergebnissen unter den Zuhörern. Nach den Baumeistern, die weiterhin unbekannt blieben, und vor allem danach, ob die Drehung natürlich sei oder auf Pfusch am Bau hinweise. Letzteres konnten die beiden Expertinnen nicht von der Hand weisen. „Man stellte schon beim Aufrichten der Konstruktion eine Drehbewegung fest, bereits während der Bauarbeiten wurde auch mit ersten Reparaturen begonnen.“ Auch wenn andere Kirchen wie beispielsweise in Lübbecke oder in niedersächsischer Nachbarschaft gedrehte Helme in Vollendung zeigten, wolle man diese Eigenheit, die ihn zu einer unverwechselbaren weithin sichtbaren Landmarke mache, im Zuge bevorstehender Sanierungsarbeiten nicht korrigieren, konnte auch Gemeindepfarrer Stefan Thünemann beruhigen. „Denn wie man sieht, der Pfusch hält und das schon mehr als 200 Jahre. Das haben Stürme wie Kyrill bewiesen – auch wenn man bei der Neuberechnung der Statik heute zu anderen Ergebnissen gelangen würde.“

Sanierungskosten auf 500.000 Euro geschätzt / Abschluss der Arbeiten zum 1. Advent 2014 erhofft

Rahden. Auf der Basis der Masterarbeit der beiden Bamberger Studentinnen, sollen im Frühjahr die Sanierungsarbeiten am Turm beginnen. Der Bauzaun rund um den Turm der St. Johannis-Kirche kündigt die voraussichtlich mehr als ein Jahr dauernde Maßnahme bereits an. „Schön wäre es, wenn wir am 1. Advent 2014 wieder durch den dann sanierten Turm der St. Johannis-Kirche zum Gottesdienst gehen könnten“, äußerte Pfarrer Stefan Thünemann seine Wunsch. Das Schadensbild der Holzkonstruktion und seine Statik wurden im Frühjahr durch den Fachingenieur für Denkmalbauten Rohrberg aus Lippstadt aufgenommen.
Die Sanierungsmaßnahmen sehen folgendes vor: Zunächst wird der Turm bis zur Spitze eingerüstet. Die über 100 Jahre alte Schieferdeckung wird abgetragen und eine Schutzfolie über die marode Dachschalung gelegt. Zug um Zug wird die in erheblichem Maße besonders an der Wetterseite nach Südwesten beschädigte Holzkonstruktion ausgetauscht. Der Turm erhält dann eine neue Nadelholzschalung und Schiefereindeckung. Im Zuge der Maßnahmen sollen auch das Turmkreuz und die Zifferblätter der Uhr überarbeitet werden.
Bei eingerüstetem Kirchturm sollen auch die Mauerrisse an der Westseite beseitigt und das ganze Turmmauerwerk auf weitere Schäden überprüft und ausgebessert werden. Am Ende soll der Turm einen neuen Anstrich erhalten. „Wir achten zudem in Zusammenarbeit mit dem NABU darauf, dass die Fledermauskinderstube im Langhaus zu keiner Zeit gefährdet ist“, griff Thünemann eventuellen Bedenken von Artenschützern vor. Da diese durch einen Spalt zwischen Turm und Langhaus einfliegen, werde man diesen Bereich von Mai bis September freihalten.
Die gesamte Kirche, also auch das Kirchenschiff, einzurüsten und mit einem neuen Anstrich zu versehen, würde die finanziellen Möglichkeiten derzeit weit überschreiten. Erste Kostenschätzung auf Grundlage des Schadensbildes und der Erfahrungen des Fachingenieurs belaufen sich auf rund eine halbe Million Euro. „Wir sind uns bewusst, dass eine ganze Generation diese Kosten abzuzahlen hat“, so Thünemann weiter. „Die Kirchengemeinde ist daher auf Spenden und Zuwendungen Dritter besonders angewiesen.“
Doch eines ist jetzt schon sicher: Auch nach den Sanierungsarbeiten wird die charakteristische Turmdrehung mit seiner leichten Neigung weiterhin das Stadtbild von Rahden prägen.