Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 11. Januar 2025

Prädikantin Miriam Wegener-Kämper

Vorsichtig nimmt die alte Dame die Kugeln von den Zweigen und legt sie zurück in die Schachteln. In einer halben Stunde kommt Lars. Ihr Enkel hilft ihr, den Baum an die Straße zu bringen, wo er morgen abgeholt wird. Dafür muss er abgeschmückt sein.

Nach den Kugeln sind die Kerzenhalter dran. Sie erinnert sich, wie oft sie mit ihrem Mann diskutiert hat, ob sie nicht besser eine Lichterkette nehmen. Wegen der Sicherheit. Und wie sie sich jedes Mal für die echten Kerzen stark gemacht - und gewonnen hat. Ganz plötzlich großes Vermissen - ihres Mannes, der Kinderzeit ihrer Kinder, der vergangenen Jahre.

Aber weiter. Sie holt den Engel von der Spitze. Er ist aus Tonkarton und Lars hat ihn im Kindergarten gebastelt. Jedes Jahr, seit er ihn den Großeltern zu Weihnachten geschenkt hat, sitzt er oben auf dem Baum. Jedes Jahr hat er weniger Goldhaar auf dem Kopf. Aber so lange sie einen Baum schmückt: Er wird - auch als kahler Engel - dort sitzen.

Eine Zuckerstange aus Keramik liegt in ihrer Hand. Sie ist ganz neu, aus diesem Jahr, Milla, ihre Enkelin hat sie von einem Weihnachtsmarkt mitgebracht. Leider ist die Stange gleich beim Auspacken herunter gefallen, so dass am unteren Ende ein Stück fehlt. Egal. Sie legt sie zu Lars’ Engel.

Jetzt kommen die Strohsterne in die Kiste. Den meisten sieht man gar nicht an, wie alt sie sind. Sie sehen aus wie neu. Bei ein paar sind allerdings Halme abgeknickt oder ganz abgebrochen. Soll sie die wegschmeißen? Sie legt sie zur Seite.

Zuletzt das Lametta. Faden für Faden nimmt die alte Dame von den Zweigen, streicht ihn glatt und legt ihn in die Verpackung. Milla sagt, dass Lametta ‚out’ ist und sie dieses alte Zeug endlich wegtun soll. Ja, denkt die Dame, das Lametta ist die Jahre gekommen. Aber das bin ich ja auch. Und sie denkt an manches Weihnachten, an dem ihre Kinder mit leuchtenden Augen vor dem Baum standen und das Kerzenlicht das Lametta zum Glitzern brachte.

Nun ist der Baum ganz abgeschmückt. Er hat sich gut gehalten. Klar, ein paar Nadeln liegen auf dem Boden und die Zweige sind ein bisschen schlaff, aber schön ist er noch immer. Neben dem Baum die Kisten und Schachteln mit dem Baumschmuck, dazu die Handvoll Sterne.

Sie setzt sich aufs Sofa. Während sie die Sterne anschaut und überlegt, was sie mit ihnen tun soll, kommt ihr ein Vers aus der Bibel in den Sinn. Der hatte in einer der Karten gestanden, die sie nach dem Tod ihres Mannes bekommen hatte. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ (Jesaja 42,3a) Nein, sie ist nicht zerbrochen an diesem Schmerz, auch wenn es noch immer wehtut. Sie ist angeknackst - aber immer noch da! Weil sie sich gehalten und geliebt weiß. Von ihren Freundinnen. Von ihrer Familie. Von Gott.

Wenn der Vers für mich gilt, warum nicht auch für Engel ohne Haare und angeschlagene Strohsterne und Zuckerstangen?

Und als Lars an der Tür klingelt, hat sie gerade die Sterne liebevoll zu den anderen in die Kiste gelegt. Für nächstes Weihnachten.


Miriam Wegener-Kämper, Prädikantin in Nettelstedt