Evangelischer Kirchenkreis Lübbecke

Worte der Besinnung für den 09. November 2024

Katrin Weber

In diesem Jahr jährt sich die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die Reichspogromnacht, zum 86. Mal. In dieser Nacht brannten in Deutschland und Österreich Synagogen und tausende jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe wurden gestürmt, verwüstet und geplündert.

Alles, was bis dahin als anständig galt, wurde plötzlich außer Kraft gesetzt. Wie beispielsweise die Selbstverständlichkeit, dass man nicht einfach Scheiben einschlägt, Gotteshäuser zerstört, Brände legt, Menschen angreift, misshandelt und ermordet.
Und doch: Es geschah in aller Öffentlichkeit. Manche machten mit. Fast niemand schritt ein. Die Böswilligkeit war in der Nacht vom 9. auf den 10. November ein sichtbares Ereignis.
Diese Bilder aus Berichten sind in meinem Gedächtnis und ich habe bis vor ein paar Wochen gedacht, dass dieses Gedenken zumindest ein paar Jahre nach Kriegsende üblich war. Tatsächlich war es aber so, dass lange Zeit jüdische Überlebende und andere Verfolgte des Nazi-Regimes in geschlossen Gedenkveranstaltungen gegenüber dem Rest der Gesellschaft stattfanden. Diese Situation änderte sich Ende der 1970er Jahre zum 40. Jahrestag. Zu dieser Zeit wurde aus dem Wort „Reichskristallnacht“ eine neue Wortbildung: die „Reichspogromnacht“. Die Idee dahinter war, dass die Nazisprache vermieden werden sollte.
Die Herkunft des Wortes „Reichskristallnacht“ ist nicht genau geklärt. Vermutlich geht es auf die überall verstreuten Glasscherben zurück, die beim Zerstören der Synagogen, Wohnungen und Geschäfte entstanden sind. Vielleicht haben sie auf der Straße wie schöne Kristalle gefunkelt. Aber die „Reichspogromnacht“ war nicht schön. Aus diesem Grund gilt das Wort „Kristallnacht“ als verharmlosend.
„Reichspogromnacht“, „Pogromnacht“ oder „Novemberpogrom“ erinnern uns daran, dass die Gewalttaten und Morde aus dieser Nacht nicht vergessen werden, denn Pogrom meint eine gewalttätige Ausschreitung gegenüber Menschen, die zu einer nationalen, religiösen oder ethnischen Minderheit gehören.
In den Kirchen herrschten damals mehrheitlich Schweigen, Wegschauen oder gar heimliche Zustimmung. Nur wenige mutige Stimmen nannten die Verbrechen und die Verbrecher beim Namen.
„Du aber tritt für die Leute ein, die sich selbst nicht verteidigen können! Schütze das Recht der Hilflosen!“ (Sprüche 31,8 nach „Hoffnung für alle“)
Eine Mahnung an uns alle! Auch heute!
Für mich ist dies ein Wochenende des Gedenkens an die Leiden der Opfer. Gedenken heißt für mich auch: Erschrecken vor den Möglichkeiten, schuldig zu werden. Damals wie heute. Aus Gedankenlosigkeit, aus Egoismus, aus Angst.

In einer jüdischen Legende fragt ein Rabbi seinen Schüler: „Wann ist der Übergang von der Nacht zum Tag?“ Und der gab zur Antwort: „Wenn du das Gesicht eines Menschen siehst und entdeckst darin das Gesicht deines Bruders oder deiner Schwester, dann ist die Nacht zu Ende, und der Tag ist angebrochen.“


Katrin Weber, Referentin in der Ev. Erwachsenbildung des Kirchenkreisverbandes Herford, Lübbecke, Minden und Vlotho